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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 14 (2. Aprilheft 1894)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0231

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im Kunstlverk dargestellten Norstellung. Wir werden nrg ent-
täuscht. Über die „Entstehung" wird soviel wie nichts bei-
gebracht: das Ganze behandelt eher die „Entwickelung" des
Kunstwerks. Aber es ist überhaupt schwierig, aus der krausen
Fülle der Schrist den Einheitsbezug herauszufinden.

Der erste Abschnitt erweckt allerdings Jnteresse. Er hält
noch am meisten zur Fahne, indem er auf die biologische Not-
wendigkeit der Kunst und den Zusammenhang derselben mit
den Nutzformen hinweist. Man wird gespannt. Der zweite
Abschnitt bespricht im allgemeinen Kunstformen und -Mittel;
der dritte Kunstwerke aller Zeiten; der vierte verbreitet sich
über die Beherrschung technischer Schwierigkeiten; der fünfte
führt zu einer Klage, daß es keine deutsche Kunst gäbe. Da-
zwischen überall eingestreut längere Ausführungen über das
Reichstagsgebäude, das Kaiser Wilhelm-Denkmal, über Uhde,
Skarbina, Klinger neben Quattro- und Cinquecentisten, über
Erbitterung der Sozialdemokraten gegen die Geistlichkeit, über
Erziehung ufw. Der Schlußabschnitt aber gipfelt in der For-
derung, der Künstler möge Vermittler der Wünsche des Volkes
werden, und der Staat möge so nachdrücklich wie möglich die
Kunstgewerbeschulen unterstützen, „weil wir mit den bildenden
Künsten ganz von vorn, bei der Zierform, wieder anfangen
müsfen."

Jm Ganzen eine Reihe guter Gedanken, eine umfasfende
Kenntnis des kunstgeschichtlichen Materials, der Beweis reicher
Belesenheit — aber wir erwarteten mehr; die Anlage der
Schrift erscheint gänzlich verfehlt.

Die Entstehung der Kunst zurückzuführen auf die zierende
Ausgeftaltung des Notwendigen und Nützlichen hat sich schon
lange als fruchtbarer Gedanke erwiesen. Das treibende Motiv
aber für diese Ausgestaltung hat der Verfasser nicht erkannt,
wenn er in allgemeinen Wendungen, wie „der Mensch ftellt
seine schöpferische Gestaltungskraft unter den Einfluß feiner
Empfindung" (S. 8), den Kern umgeht. Weiterhin heißt es:
„Die Völkerkunde wird den Beweis liefern, daß die Zierform
nicht zufällig entfteht, sondern den sichtbaren, greifbaren Aus-
druck für einen dem Empfindungsleben entsprungenen Gedanken
bildet, daß sie der sinnlich wahrnehmbare Ausdruck des Über-
sinnlichen, der Jdee ist" (S. 20 f.) — und: „Seit den Ur-
zeiten her trägt der Mensch ein ungestilltes Verlangen in sich,
dies Unbestimmte (der Jdee) als etwas Bestimmtes erkennen
zu können" (S. 22). Mit solcher metaphysischen Motivirung
ist uns beutzutage nicht mehr gedient. Sie ist auch falsch.
— Wenn wir dem Kinde den Bleistift in die Hand drücken,
ihm ein Blatt Papier vorlegen und nun sein Gebahren be-
obachten, so wird fich ergeben, daß es zuerst die Figur zeichnet

und Lann plötzlich die Aussage daran knüpft: „Papa, das bist
du!" Aber auch weiter zurück: Das Ursprüngliche war nicht
die Absicht, ein Gesicht usw. wiederzugeben, sondern zuerst
sind die absichtslosen Linien und Striche, nnd dann „erscheinen"
sie als Kopf usw. Und so ist überhaupt für den Anfang der
Kunst gültig: Niemals ift die Jdee das Primäre; zuerst wird
die Form gefunden — absichtslos, zufällig — dann „bedeutet"
sie dies und jenes. Daß aber überhaupt der Trieb vorhanden
ist, Formen zu schaffen, das läßt sich nur zurückführen auf die
Lebensforderung unseres Organismus, uns stetig Reizände-
rungen zu verschaffen. Jegliche Absicht, zu „vervollkommnen",
„wertvoller zu machen", liegt dem ursprünglichen Schaffen fern;
es will nur anders geftalten, nur jedesmal anders, ohne
jegliche Richtung, ohne Prinzip und Gesetz. Das „Andere"
ist das Reizvolle und (relativ) Lebenerhaltende, darum auch
das Wertvoll-„Erscheinende", das Schön-„Erscheinende".

Von dieser Grundlage aus muß es gelingen, endlich
einmal das alte Jdol der Vollkommenheit zu ftürzen, um
welches herum noch immer die Autoren von allerhand ästhe-
tischen Schriften den Reihentanz vollführen. Der Verfasser
der vorliegenden Schrift gehört auch dazu. „Niemand kennt
das Vollkommene, jeder ahnt es, jeder erwartet es, der eine
in mehr passiver Zurückhaltung, der andere mit thatkräftigem
Handeln, alle ohne Aussicht auf ganzen Erfolg" (S. 28). Wie
doch unserem naturwissenschaftlich geschulten Denken ein Ar-
beiten mit solchen Abstraktionen, mit einem Etwas, das Nie-
mand kennt, und unter dem sich auch Niemand etwas vor-
stellen kann, widerftrebt! Es ist nicht richtig, daß die „un-
bestimmte Jdee einer nicht gekannten, nur geahnten Voll-
kommenheit Voraussetzung jeder Kunstform ist" (S. ZH); die
Widerlegung würde jedoch an dieser Stelle zu weit führen. —

Die modernen Maler sind dem Verfasser ein Stein des
Anstoßes und des Ärgernisses. Besonders Klinger. Die Dar-
stellung von Menschenschicksalen, wie dieser sie liebt, zeige „die
Kunst in ihrer Erniedrigung" (S. lo^); seine PietL „profa-
nire" den verehrungswürdigen Vorwurf, indem derselbe zum
Spiel künstlerischer Willkür gemacht werde (S. t^o). Dagegen:
wer allein „beim Volk", bei unserer gebildeten Gesellschaft,
und zwar da, wo man in der engeren Hüuslichkeit in der
Ruhe des Feiertags Feiertagsstimmung im Kunftwerk sucht,
Eingang gefunden habe, das sei Ludwig Richter. Über-
haupt befremdet den Verfasfer das moderne technische Verfahren
mit seinem wirren Durcheinander bunter Striche, ein Punkt,
auf den ich noch einmal zurückkommen werde in einem Aufsatz
über das „Rein-Malerische". " Fr. Larstanjen.

LeLtungsscbau.

Dicbtung. (Hamerling als Dramatiker) L. Gnad, Beil. z.
Allgem. Z. (8 ff. — (I. N. Barrin) L. Schordt, Frkf.
chtg. l9- — (Die literar. Bewegung in Norwegen) Knut
Hamsun, A. fremden Zungen ( ff. — (jOsichari als Novellist)
Krumbacher, Allg. Z., B. 57. — (Rasmus Löland) Brause-
wetter, Gegenw. 8. - (w. L. Backhaus) k^ähnel, Gesell-
schaft 2. — (D. literar. Bewegung in Rußland) N. Nichai-
lowsky, Aus fremden Zungen 6 ff. -
/HdUSlK. (wagner und die Frauen) R. winzer, N. M. Ztg. 3 ff.
— (wagner als Beethoven-Biograph) ebenda. — (Die Lr-
findung des Rupferstichs f. d. lNusikdruck) Fr. Lhrysander,
ebenda. — (Beethovens ^.-ckur-Symphonie) M. wirth, lN.

wchbl. 5 ff. - (Die Musik im Dienste der Rriegsbegeisterung)

L. Bräutigam, M. wchbl. ?. — (Musik als Politik) N. Berl.

M. Z. 7, 8. — (Dichter und Tonkünstler) I. jdeter, Sänger-
halle 5 f. — (Die Tonkunst fi. d. Kulturftaaten a. Lnde
d. (9. Iahrh.) I. Schucht, N. Ztschr. f. M. (, 2. — (Die
llufgaben des Aritikers) M. Arens, M. wchbl. ( ff. —
(Das Melodram) A. Schüz, N. M. Ztg. ( ff. — („Mascagni
hat abgewirtschaftet") w. Mauke, Gesellsch. (. — (Die
Sprache in wagners Nibelungen) R. Deye, Münchener

N. N. 35. — (Der Aonzertagent) A. Ludwig, N. Berl.
M. Ztg. 2 ff. — (Die Anmut i. d. Musik) L. Hartmann,
Dresdner Ztg.-(9. — (Leoncavallo) Ls. Schenker, Zukunft 69. —

uns die IkunstgescbicbtL lebrl. — Brundscbuu. Dichtuug. Schöne Literatur. 55. Vom
I » französischenRealismus. Der französische Provinzroman. — Theater. Wichtigere Schauspielaufführungen. 6(.

Schriften über Dramatik und Bühnenwesen. — Musik. Wichtigere Musik-Aufführungen. 5(. Der „italienische Opern-
vorftoß" und die jetzige deutsche Kritik. — Bildende Künfte. Kunstblätter und Bilderwerke. (2. Berlinische Künst-
ausstellung. Dresdner Kunftbrief. Verfteigerung. — Bermischtes. Schriften über Ästhetik. 5. — Aetlungsscbüu.






 
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