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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 10 (2. Februarheft 1894)
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Volkstümliche Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0156

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in eure Musecn, eure Deuker in die Halleu der Wisseu-
schaft? Da fügen wir uus gern und einheitlich in das
Gauze ein; die Luft, die uns da umweht, ist Geist von
unserm Geist; der Eintretende naht sich uns mit Gefuhlen,
die frei sind von Geschäst und Hast, er begrüßt uus als
traute Bekannte, und wir lesen nicht auf seinen Lippen die
demütigende Frage: wie kommt denn der hierher? Da
sind wir wenigstens nicht zu dem traurigen Dasein ver-
urteilt, zu sehen, wie jeder, der in unsern Gesichtskreis
kommt, nur die eine Sorge hat, sobald wie möglich aus
deni Gewirr von Menschen, Tieren uud Rädern, in das
ihr uns gestellt habt, mit heileu Knochen herausznkommen,
Seid ihr, die Herren der Schöpfung, deun in Verlegen-
heit, wie ihr eure öfsentlichen Plätze in geeigueter Weise
ausstatten sollt? Jhr versügt über alle drei Naturrciche,
und die gesamten vier Elemente sind euch unterthan, geuügt
cuch das nicht? Weshalb vergreist ihr euch au uns steif-
leineneu Gesellen, die hinter ihren Büchern oder im Tempel
der Kuust eiue leidliche Figur abgeben, aber sich auf dem
lauten Markt des Lebens inmitten Dampf und Elektrizität
und Aktiengesellschaften zum Erbarmen unglücklich vor-
kvmmen? Merkt ihr denn nicht, wie wenig dichterisch
und denkerisch uns zu Mute ist, wenn nuser Auge tagaus
tagein auf eiuen Wurstladen oder eine Stehbierhalle zu
starren gezwungen ist, wenn rechts von uns ein totaler
Ausverkanf und links die feinste Marke Kakao angeküudigt
wird, wenn vor uns die Trambahn und hinter uns der
Omnibus vorbeilärmt? Wißt ihr denu nicht, daß wir
Dichter und Denker besouders seine Nerven haben, habt
ihr denn nicht bei Lombroso gelesen, wie nahe das Genie
dem Wahnsinn verwandt ist, wollt ihr uus ihm gewaltsam
überliefern?"

Es ist nicht nötig, daß wir uns mit dem Hamburger
Beobachter so sehr in die Seele der modernen Sockel-
und Säulenheiligen versenken, daß uns die Belästigung
ihrer Nerven schmerzt, und wir werden ihm doch in dem,
was er anstrebt, Recht geben müssen. Ein Manu, der in
seiuem Leben vertreten hat, was alles Volk empfindet und
von dessen Hauptthaten ein jeder weiß, ein Held, ein
Reformator, ein Staatsmann, ein Fürst oder meiuethalben
ein wahrhaft volkstümlicher Künstler, wie z. B. Ludwig
Nichter war (wenngleich der wieder nicht in eine Straße,
sondern in grüne dörfliche Anlagen gehörte), — all solche
Leute, mein ich, mögen auf osfenem Platze auch uach dem
Tod ihres Fleisches noch über die Leute hinwegsehen. Es
wird nicht gar so selten sein, daß einer dankbar zu ihuen
aufschaut — uud sie, die das Volk kennen, die wisseu,
wie sehr es den Kopf von andern Diugen voll hat uud
voll haben muß, sie würden, glaub ich, die Gleichgiltigkeit
der übrigen Leute auch gar nicht übel nehmen. Aber jene
Denker, jene Dichter, die beim Vordringen der Menschheit
weit vor dem Heere standen, als Späher in das uoch
ungewonnene Land, als Freischarenführer, oder auf eiu-

Ell--

samen Vorgebirgen als Bannerpflanzer neuer Kultur
gedauken oder Kulturgefühle, zuuächst nur mit Einzelneu
im Gefolge und für alle Zeit auf die große Menge
nur wirkend durch so viel Vermittler, daß der letzte, der
ihren Weisungcn folgt, sich der Qnelle dieser Weisungen
gar nicht mehr bewußt ist -— was sollen ihre Standbilder
auf dem Tagesmarkt? Als kalte Fremdlinge stehen sie
da, wie heidnische Götzengestalten aus einer andern Welt.

Wär es uns Ernst mit dem, was eigentlich so selbst-
verständlich ist: daß volkstümlich sein soll, was zwischen
das Volk gestellt wird, zwängen nicht wir paar oberen
gebildeten nnd vor allem loyalen Leute allerorts den Masseu
uusere Größen auf, wie die Hamburger den Droschken-
kutschern nud Marktfraueu den Lessing — wir würden
die Zahl unsrer Marmoroffiziere und Zivilisten ohnehiu
beschränken. Und wir thäten damit auch der Schönheit
unsrer Städte eiuen großen Dienst. Denn der Mensch
in würdevoller Stellung, wie sie sich doch für einen Denkmals
menschen geziemt, sieht ost schon auf huudert Schritte Ent-
sernung leider langweilig aus, und größer als der größte
Feldherr ist danu sein Pferd. Was hauptsächlich durch
das Menscheugesicht gekennzeichnet werden muß, unr aus
der Nähe besehcn wirkt es, wie es wirkeu soll. Was
aber sonst etwa noch wirkeu könnte, in körperlicher Schön-
heit und Krast, das bekämpft in der Gegeuwart der ernste
Gesetzgeber moderner Staudbilder, Seine Gestrengen der
Herr Schneidermeister für Zivil und Militair. Ein Bild
hauer mache mal etwas aus unseru Röcken und Hosen!

Nun giebt es ein Völkchen, das auch Standbilder ver-
dient, weil es den Leuten sehr viel Gutes gethan hat,
obgleich sie das kaum wissen, indem es hunderte von
Jahren in deu Köpsen lebte und dort das Singeu uud
Fabuliren und Fröhlichfein lehrte; ein Völkchen, desfen Ge-
stalten darum, wo sie etwa in Stein oder Metall vder
Farbe noch einmal auftauchen, recht schnell begriffen uud
liebgewonneu werden; ein Völkchen dabei, dessen Bekleiduug
teils so maugelhaft ist, daß sie den Schneider empört und
den Künstler ergötzt, teils wieder so mannigfaltig, daß der
Bildhauer aus ihr macheu kann was er will; ein Völkchen
schließlich, das für seine Deukmäler gar keine würdevoll-
langweiligen Posen verlangt. Das ist das Völkchen der
Necke und Nipeu, die sonst draußen im Walde hausten,
der Riesen und der Zwerge, das Völkchen der Greife und
Drachen, der gefangenen Maide und der befreienden Ritter,
aber auch der lustigen Landstreicher und sahrenden Ge-
sellen, der werten Kämpfer und der teuren Helden, das
ist, kurz gesagt: das Volk unserer Volkslieder, unserer
Sagen und unserer Schwänke. Zum Vorteil der Volks- !
tümlichkeit uuserer Plastik, zum Vorteile der edeln Kuust
selber, zum Vorteile der Schönheit unserer Städte fordern
wir für all die genanuten Leute volle Auerkennung ihres
seit Jahrhuuderten verkümmerten Bürgerrechts in der
Bildhauerkuust!
 
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