Holinberg, Harburger, Raupp, Wopfner, Willroider, Schleich,
Braith usw. mit neuen Werken beschickt haben. Aber man
suche nur die Bilder, mit denen diese bcrühmten und be-
kannten Namen vertreten sind, auf, betrachte sie genau und
vergleiche sie mit den Erinnerungsbildcrn ihrer fruheren
Leistnngen, so tritt das Mnmienhafte dieser Produktion in
einer wahrhaft erschreckenden Weise in die Erscheinnng. Bei
manchen von ihnen, wie z. B. bei Grützner, ist es ja schon
lange kein Geheimnis mehr, daß ihr künstlerischer Trieb ver-
siegt ist und ihre Produktion nur in der schwächeren, hand-
werks- und rezeptmäßigen Wiederholung früherer Leistungen
besteht; bei anderen hat man aus Pietät lauge diesen Prozeß
nicht sehen wollen, der sich doch mit so unerbittlicher Konsequenz
vollzog, bis man endlich in den letzten Jahrcn sich überzengen
mußte, daß dieser Rückgang überhaupt nicht an einzelnen
Personen haftet, sondern daß eine ganze Richtung ab-
stirbt, weil sie in ihren Zielen nnd in ihren Ausdrncksmitteln
sich hat überholen lassen.
Ja, diese ganze Kunst ist tot, wie die Auerbachsche Dorf-
novelle mit aller ihrer Gesolgschaft bis zur Wilhelmine Hillern
tot ist, wie der Eberssche historische Roman tot ist und das
Theater der Meininger. Sie üben ihre Herrschaft noch in den
breiten Volksschichten, aber es wird kein neuer schöpserischer
Geist mehr austreten, der in ihrer Welt lebte, ihrer Sprache
sich bediente. So anch in der malenden Kunst. Es ist, rein
theoretisch betrachtet, durchaus keine Nnmöglichkeit, auch heute
ein gutes, nach heutigen Begriffen gutes Bild zu malen, das
etwa Großvater und Enkel, das Stelldichein des Jügers und
der Sennerin, oder irgend einen in der Touristenwelt be-
rühmten Fleck Erde zur Darstellung brächte. Aber es ist
merkwürdig, diese guten Bilder werden eben nicht gemalt, man
kann den ganzen Glaspalast durchstöbern und findet keines.
Man sieht da, wie zwischen dem „Gegenstand" und der
„Technik", zwischen „Jnhalt" und „Form" und wie die viel
mißbrauchten und mißverstandenen Bezeichnungen sonst heißen,
ein innerer Zusammenhang besteht. Unsere jungen Talente
zieht es unwiderstehlich, statt der zu einer gewissen Zeit aus-
schließlich sür „malerisch" gehaltenen Gebirgslandschaft die
poesievolle Schönheit der Ebene zu ergründen an Orten, von
denen kein Reisehandbuch spricht, es reizt sie, den modernen
Menschen zu schildern wie er geht und steht, den Arbeiter mit
den Spuren seines harten Daseins, den Großstädter in seiner
Blasirtheit, den einen wie den anderen jeder „Romantik"
entkleidet. Denn mit der Gewinnung neuer Ausdrucksmittel
in der Kunst ist auch der malerische Reiz des uns umgebenden,
in seiner „Alltüglichkeit" bisher verschmähten Lebens entdeckt
worden. Wer diese Ausdrucksmittel sich nicht zu eigen gemacht
hat, der schreckt auch vor den modernen Themen zurück; und
wenn zuweilen ein Älterer versucht, dieser Ausdrucksmittel zu
den ihm geläufigen Themen sich zu bedienen, so kommt besten
Falls eine Aushellnng der Palette heraus; eine junge Seele
vermag er seinem Werk nicht einzuhauchen. Es ist ein Jahrzehnt
her, daß in Deutschland jene Übergangsversuche zum Neuen
gemacht wurdcn, die man damals für revolutionär hielt und
die heute in ihrer schwächlichen Zahmheit und Zaghaftigkeit
erkannt sind. Es war die Zeit, wo man weißgetünchte Spital-
wände sür „Freilichtmalerei" hielt. Jnzwischen sind doch viele
sich klar darüber geworden, daß es bei dieser „Bewegung" in
der Knnst nicht bloß um eine Vorliebe sür hell oder dnnkel,
für braun oder violett, nicht um zufällige Geschmacks-
veränderungen sich handelt, daß vielmehr diese Wandlungen
in der Kunst nnr aus dem großen Wandel moderner Geistes-
richtung heraus überhaupt zu verstehen sind. Moderne Künstler
sind moderne Menschen und umgekehrt.
Drei Künstlerpersönlichkeiten finden wir im Glaspalast,
die, ohne irgendwie modern zn sein, in lebendiger, ungebeugter
Kraft aus dem Chaos herausragen: Lenbach, Leibl und
E. v. Gebhardt. Aber diese Ausnahmen widerlegen nicht,
was wir von der toten Kunst gesagt haben. Es sind Leute,
die, wie etwa iu der Literatur Gottfried Keller, über der
Tagesströmung stehen, die sich ihr Gewand selbst geschaffen
haben, das darum auch nicht mit dem der anderen veraltet.
Und für jene tote Kunst dürfen sie vollends nicht in Anspruch
genommen werden; denn sie standen damals, als jene Kunst
lebte, abseits, und erst die solgende Zeit hat sie voll erkannt
und gewürdigt. Von diesen Meistern abgesehen — es mag
wohl noch einige andere geben, aber sie sind im Glaspalast
nicht zu finden — die mit ihrem eigenen Maß gemessen sein
wollen, macht die ältere Münchener Kunst seit Jahren den
Eindruck braver Mnsikanten, die ihr Stück sauber abspielen,
weil sie es so und so ost gespielt haben; aber auch bei den
Solisten flieht mehr und mehr die Seele aus dem Vortrag,
und es bleibt nichts ubrig als die Rutine. Wir haben das
an einem andern Ort schon bezüglich der vorjährigen Aus-
stellung konstatirt; die heurige ist dafür lediglich eine Be-
stütigung und Verstärkung. Es reicht nicht mehr mit dieser
Musik, um ein ganzes Konzertprogramm zu bestreiten.
Und so sind es trotz allem eben auch in den deutschen
Sälen des Glaspalastes die jungen Kräste, die, da und dorthin
verstreut und von der Hängekommission vielsach schlecht be-
handelt, das Ganze einigermaßen herausreißen. Freilich, es
klafft die große Lücke, die durch die Sezession gerissen ist, und
die immer sühlbarer wird, je mehr man einen Überblick über
diese labyrintische Ausstellung gewinnt und je mehr man sich
Rechenschaft giebt, wie vieles da ist, was eben so gut nicht
da sein könnte, und wie vieles sehlt, was aus einer deutschen
Ausstellung, die ein Bild der zeitgenössischen Kunst geben soll,
eben einfach uicht fehlen dürste.
Da es hauptsächlich die srisch produzirenden Kräste der
Münchener sind, welche die Sezession absorbirt hat, während
in den andren deutschen Kunststädten auch viele der Jüngeren
es vorgezogen haben, in den sicheren Hasen des Glaspalasts
einznlaufen, statt aus die Verwirklichung des bis in die letzten
Wochen im Ungewissen schwebenden Projekts der Sezessions-
ausstellung zu wacten, so tritt naturgemäß in der Ausstellung
der Genossenschaft die Kunst der Karlsruher, Düsseldorfer, ja
auch der Berliuer, Dresdner und Stuttgarter mehr als sonst
hervor. Karlsruhe bildet durch den Einsluß von Schön-
leber (der nicht ausgestellt hat) und Baisch einen vorgerückten
Posten unter den deutschen Landschaftern der älteren Gattung;
es ist echter Natnrsinn in dieser Kunst, wenn sie sich auch vom
konventionell „Schönen" nicht hat befreien können und stark
in Gefahr ist, einer Manier zu verfallen. Aber es giebt dort
augenscheinlich auch einige Leute, die selbständig weiterschreiten;
so ist der Karlsruher Volckmann ein ganz moderner Mensch
und dabei ganz moderner Künstler, dessen Landschasten zum
Besten gehören, was man im Glaspalast findet. Auch in
Düsseldorf ist Dank dem nahen hollündischen Einfluß stark
fortschrittliche Bewegung. Die Brütt und Bockelmann, die
Liesegang und Munthe, gestern noch modern, sind hente schon
stark überholt. Einige der jüngeren Düsseldorser sind zur
Sezession hinüber; der Glaspalast verdankt aber dem Düssel-
dorser Jernberg seine beste Landschaft. Jn den Malern Giese
und Pietschmann haben wir zwei moderne Dresdner kennen
gelernt, und wir wollen gerne glauben, daß sie nicht allein
stehen, denn wir haben nicht jedes Bild, das uns aus der
Menge heraus in die Augen fiel, aus seine Herkunst prüfen
können. So müssen wir uns auch begnügen, ohne eine