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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1893)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0038

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eigenem Ermessen mit Verachtung des früher Gewonnenen vor- !
gehen. Wir können kein »Licht« nuf die Palette spritzen,
sondern nur Fnrbe; der Künstler knnn das in der Nntur
Geschnute nnr übersetzen in die Sprnche seiner Fnrben, und
diese Übersetzung will gelernt sein. Gegen die berühmten
Maler der alten Perioden seit der ägyptischen Zeit verdient
kein heutiger Künstler ein berühmter Mnnn gennnnt zu werden.
Dieser durch eine unwissende Presse genährte Rnusch wird
hoffentlich bnld vorübergehen. Schnde nur, daß ihm nntur-
notwendig eine Reaktion folgen muß, welche Gewonnenes teil-
weise wieder in Frnge stellen wird. Ganz ungebildete Burschen
schreiben über Kunst und machen den Leuten weis, dnß sie
an der Spitze des künstlerischen Fortschritts mnrschiren, wo-
durch lediglich ein Proletarint geschnffen wird, geistig und
physisch. Nur dem Schönen gehört die Zukunft. Dazu kommt
der Wnhnsinn, die erdrückende Last der Ausstellnngen, srüher
prnnklose, heute prunkvolle Beerdignngsanstnlten, welche die
Kunstproduktion entwerten und eine Menge von Künstlern dem
Berfnll entgegentreiben. Wenn ich 2000 Bilder anschaue, so
ist es grnde, wie wenn ich 2000 Musikinstrumente höre. Mehr
prnktische Schulnng ist notwendig. Wer nur theoretisch das
Schwimmen gelernt hnt, wird im Wasser untergehen. Wenn
prnktische Aufgnben hernntreten, wie in letzter Zeit die An-
fertigung der Dekorntionen zu den Wagner-Opern, so müssen,
obwohl München über 2000 Mnler hnt, diese Bestellungen in
Wien gemncht werden."

Lenbachs gnnze Rede giebt nur einen nenen vortrefflichen
Belng zu der nltbeknnnten Thatsache, dnß hervorragende
Künstler oft schlechte Kritiker gernde über das Gebiet sind,
auf dem sie hervorragen, weil ihnen dafür das eigene Jch der
Mnßstab geworden ist. Das gilt schon von der Frnge des
Ausgnngs seiner Erörterungen, der nnch solider Technik: wir
brnuchen nicht alle mit Lenbachscher Malnrt glücklich zn werden,
ein Weiterführen und Suchen neuer Wege aber ist kein Ver-
achten der nlten, die nnch zu gnten Zielen sühren. Wann
stnnd die Technik im Deutschland des neuen Reichs höher —
ehe die neue Bewegung eingriff oder jetzt? Weiter: „es giebt
keine Wnhrheit ohne Schönheit, und letzterer wurde der Krieg
erklärt"! Das ist kurz nnd gerade gesagt: Unsinn, denn erstens
ist sür verschiedene Leute und verschiedene Zeiten von jeher
Verschiedenes schön gewesen, und zweitens giebt es für jeden nn
nllen Ecken und Enden Wnhres, das für ihn häßlich ist. Man
knnn eher frngen: giebt es auch Schönes, dns nicht wahr ist?
Und da gehen jedenfalls diejenigen nm sichersten, die nnr nus
Wnhrem Schönes hervorholen wollen. Wo wäre der Nnrr,
der jeder Schönheit den Krieg erklärt hätte? — Die Leser
des Kunstwnrts wissen, wie wenig nnch sonst Lenbnchs Be-
merknngen gernde die treffen, nuf die sie gemünzt sind. Was
er über die Ausstellungen sngt — wer z. B. vertritt es kräftiger,
nls eben die Sezessionisten, deren Gegner er ist, und eben
jener Teil der ösfentlichen Kunstkritik, die er als seine Gegner-
schaft ansieht? Es geht Lenbach, wie es manchem andern Alten
geht: er ist sich zu gnt erschienen, um die Bestrebungen der
Lente „dn unten" ernsthaft kennen zn lernen und zu verfolgen,
und nun sicht er gegen Phantome seiner eignen Phantasie.

x Lin DenkniAl nur einem Negenscbirm? Diese
Frage regt die Pnriser Kunstfreunde auf, während die Mndrider
dns geplante Velasquez-Denkmnl sür Pnris beschäftigt. Dnlou
hat den verstorbenen Direktor der öffentlichen Bauten, Alphnnd,
dargestellt, wie Jeder ihn kannte: nns den Regenschirm gestützt,
den Zylinder in der einen Hand, indeß er mit der anderen
eine besehlende Geberde mncht. Aber gegen den Regenschirm
bläst der Wind der öffentlichen Meinnng. Die Sache ist lehr-
reich dafür, wie dns Gesetz der Trngheit wnltet: ein Regen-

! schirm ist eben in der Plastik noch ungewöhnlich. Daß er
dort verbnnnt bleiben müsse, wo Reiterstiefel, Schleppsäbel
u. s. w. eingebürgert sind, kann ohne Weiteres wohl nicht be-
hnnptet werden: es kommt eben auch hier nllein nufs Wie
der Künstlernrbeit und ihrer Aufgaben an.

* Über cbinesiscbe Maleret spricht Friedrich Hirth
in einem Briefe, nus dem die Münchner Neuesten Nachrichten
Einiges nbdrucken. Der bekannte Sinologe hat 657 chinesische
Bilder gesammelt, um so die große chinesische Literntur über
diese Malerei besser verstehen zn können, und diese Bilder
schickt er nun nach Europa. „Es ist vielleicht gnnz nützlich,"
sngt er dann, „wenn Kenner der westlichen Malerei über diese,
unserem innersten Wesen zuwideren Ergebnisse, die nber immer-
hin, jedes in seiner Art, ein aus langer Kunstübung beruhen-
des Können repräsentiren und das Ergebnis ganz bestimmter,
Jahrtnusender alter Grundsätze sind, sich äußern. Die Chinesen
teilen ihre Maler ein in ch sllon-pin, dns sind die gewisser-
mnßen »geisterhaft« wirkenden, die Genies oder gottbegnadeten
Tnlente; 2) t-pln, die »Auslassenden«, d. h. »nur Andeutenden«,
mnn könnte sagen: die »Jmpressionisten«. Endlich 3) n6n§-x>m,
die bloßen »Könner«, denen dns Handwerksmäßige der Kunst
obennn steht. Jeder Maler hat seinen, einer dieser Klassen
entsprechenden Charakter. Viele Bilder, die mit berühmten
Namen versehen sind, sind wahrscheinlich nicht echt, doch findet
sich auch wieder vieles, dem man die Echtheit ansehen kann.
Nnecht sind, sürchte ich, alle die mit dem Namen des großen
Pferdemalers Ch'ao Tzu-ang bezeichneten Bilder, der etwa
t522 starb, doch stammen von ihm wohl die meisten der
modernen Pferdetypen ab, die von Generation zu Generation
mehr oder weniger schlecht kopirt worden sind, u. a. die
Pferdestudie, aus der das Pferd in allen möglichen Stellungen
erscheint. Ein echter Tzu-ang soll im Besitze des Prinzen
Kung sein. Eher finden sich Bilder des allerdings auch
massenhaft durch Kopien vertretenen T'ang Ain, eines Zeit-
genossen Rafaels. Hübsche Frauengestalten wnrden von Ch'on
Iing gemalt (Ende des t6. Jahrhunderts), von dem sich
mehrere Bilder in der Sammlung besinden. Landschaft, Still-
leben, Blumen usw. sind berühmt von Ch'ou Nan-tien, dessen
Frau (oder Tochter) als Blumenmalerin bekannt ist <Z?. Jahr-
hnndert). Ob diese Damenbilder echt sind oder nicht, sie sind
jedenfalls charakteristisch. Nach geringer Erfahrnng konnte ich bei
diesen Blumenstücken schon von weitem sagen, ob sie von einem
männlichen oder weiblichen Maler herrührten. Das abgezirkelte,
sein detaillirte, sorgfältige, sreilich auch dem gottbegnadeten
Talent keineswegs zu vergleichende Element ist bei den Chinesen
(wie hoffentlich nicht bei uns) den Damen eigentümlich. Die
chinesische Kunst ist die Mutter der japanischen, wenn auch
von der Tochter überslügelt, jedenfalls aber wert gekannt zu
sein. Jhre Geschichte, wenn auch vielleicht eine Geschichte von
Jrrtümern, ist nicht wegzuleugnen. Was wir vom chinesischen
Maler lernen können, ist — wenn sonst nichts weiter —
Geduld."

* Lebönbeitssimi und Kabnböte sind zwei Begriffe,
die wir jetzt nicht mehr so selten in Beziehung setzen, wie in
der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit der Nüchternheit. Mehr
nnd mehr beginnen wir, auch das auf seine Schönheit hin
anzusehn, was rein praktischen Zwecken dient und was schön
zn gestalten noch dem vorigen Geschlecht kaum in den Sinn
kam — und die Bahnhöfe gehören nicht einmal zu dieser
Gruppe von „Jndustrismen". Trotzdem bilden schöne und
zumal behagliche Bahnhöfe besonders in den kleineren Orten
durchaus noch nicht die Regel, und so kann uns das Folgende
zur Anregung dienen. Es ist ein Bericht, den seinem Blatt
ein Mitarbeiter des St. Petersburger Herolds aus dem

Ä--


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