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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 3 (1. Novemberheft 1893)
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Sandvoß, Franz: Dramatik und Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0044

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eine ziemliche, sagen wir Kindlichkeit, stch beknnde, will ich
unerörtert lassen. Man steht ja Lekanntlich heutzutage auf
einer innnensen Höhe der Kultnr. Aber das suche man
sich einmal ehrlich zn beantworten, ob nicht die Sckrift
und somit auch die durch dic schöne vervielfältigende Kunst
des Buchdrucks gelieferte Schrist, ewig ein trauriges Surro-
gat der lebendigen Menschensprache bleibt. Was heißt das
aber anderes, als daß auch das Epos als Buch bestim m t
sein muß, gehört zu werden. Das Epos ohne den
Rhapsoden ist undenkbar, ein Nonsens. Aber sreilich, wir
Alphabetiker, wir gebildete Halbmenschen, haben neben an-
deren Kulturschiefheiten auch die aufs rassinirteste ange-
nommen, daß wir mit den Augen hören und in diesem
Hören vom leisen Tiktak der Uhr gestört werden können.
So sind wir durch eigene Phantasiethätigkeit imstande, ini
stillen Winkel unseres Zimmers bei der Lampe Dämmer-
schein unser eigener Rhapsode zu werden. Das gilt im
Grunde von aller Schrift und wäre sie eine Schneider-
rechnung, um wie viel mehr also von der Schrift als
Mittel der Kunst, die den Empfänglichen unwillkiirlich zum
lauten Monolog zwingt. Es ist in der That ganz un-
denkbar, daß der Dichter von vorn herein aus den Vor-
trag der Menschenstimme, auf das lebendige Wort dcs
Lesers, oder wenn es zu haben wäre, des Sängers, Ber-
zicht geleistet hätte. Diesen Kulturstand erreicht allensalls
der papierene Stil des Zeitungsskribenten. Das ist aber
vor der Hand die Grenze der Menschheit, da fängt das
— Andere an.

Nun denn, der Epiker, und das gilt auch vom Lyriker,
will genau dasselbe, was der Dramatiker auch nur wollen
kann, lebendigen Vortrag, und wir saheu, daß der
dazu nötige Apparat durch die Suggestion der Phantasie
ersetzt, entbehrlich gemacht werden kann. Und da kommt
man uns immer wieder mit dem alten, wie es scheint, gar
nicht tot zu kriegenden Schulwitz von der Wesentlichkeit
der Bretter für die dramatische Produktion. Uber die
angebliche Erhöhung der lyrischen Wirkung durch die
Komposition ist, dünkt mich, im „Kunstwart" sehr Be-
herzigenswertes — zum Ärger der Musikanten -—- gesagt
worden. Jch adoptire das für das Verhältnis des
gedichteten Dramas zur !Halbkunst des Schauspielers
und zur Bühne. Aber Wehe mir, der es wagt, die
Schauspielkunst eine Halbkunst zu^nenueu. Rollen werden
doch bekanntlich kreirt. Natürlich, der arme Schlucker
von Dichter hat gar keine Ahnung davon haben können,
wie ein Wallenstein, eine Lady Milsort eigentlich aus-
schauen, wie sie gehen und stehen, wie sie mit Auge und
Miene, mit Hand und Mund und nicht zuletzt durch die
Echtheit des Kostüms das bloß in Kontur hingeworfene
Charakterbild aus dem Ding herausholen, es aus dem
Rohen herausarbeiten; das ist der Witz, llic l^lroclu8,
lrio 8Lltudiirni8 U08. Lassen wir ihnen das kindliche
Vergnügen, erfreuen wir uns, wo sie'.des Dichters eigensten

^-

Sinn gespürt haben, wo sie dem naiven Zuschauer eine
ihm sonst vielleicht verschlossene Welt erst eröffnen,' die
stumpfen Sinne der Gebildeten aufrütteln und erschüttern,
füttern wir sie auch mit Lob und Kränzcn, mits den
billigen Blättern, die sonst in Deutschland beim Fischekochen
verwendet werden, aber lassen wir ab von dem Wahne,
erst ihre Reproduktion schaffe der Dichtung die Seele.

Ein konzilianterer Unbeteiligter möchte hier dreinrufen:
„Halt! was dürft ihr mit einander hadern, du Versisep
oder wahrscheinlicher Prosadichter, und du gestaltenschasfen-
der Künstler, da ihr doch euch nicht entbehrcn könnt."

Gut, so will ich nichts gesagt haben, was den red-
lichen Schauspieler verletzen möchte. Aber das verlange
man nicht, daß ich die Unentbehrlichkeit seiner Kuust (nein,
bitte, bei Halbknnst muß es schon bleiben, das ist nichts
Ehrenkränkendes -—), anerkenne. Unentbehrlich war die
Bühne nie und ist sie vollens heute uicht, ja wir hätten
hundert gute Gründe, einem neuen Puritanismus, ganz
nnd gar nicht zum Schaden unserer Kunst — ich meine,
vou der wir eben reden — zuzustimmen, sind wir doch
so weit, daß wir wenigstens unsere Töchter nur noch mit
Sorge ins Theater gehen sehen. Sicherlich bin ich so
frei, jedem dramatischen Dichter — und das ist jeder,
der ein Drama dichtet, wie jeder Balladendichter ist, der
eben Balladen macht — den ernsten, wohlerwogenen Rat
zu geben, lediglich seinem Drange und den inncrst wirken-
den Gesetzen seiner Kunst zu folgen, und auf die Epistenz
des Theaters nicht anders Rücksicht zu nehmen, als so weit
das ihm selbstverständlich immer vorschwebende ideale
Theater und sein ideales Publikum dabei in Betracht
kommen, die wirkliche Aufsührung aber als eine sür ihn
als Dichter ganz irrelevante Zufälligkeit, auf die er so
wenig vernünftigen Anspruch hat, wie auf den Gewinn
eines Lotterielooses, zu betrachten, als eine Sache, die mit
seiner Kunst und mit der literarischen oder „knlturellen"
Bedeutung seines „Werkes" nichts zu thun hat.

Habe ich sie zerstört, die schöne Welt? Durchaus
nicht, ja ich meine, zu ihrer rechten Würdigkeit verholfen
wäre ihr erst wieder, wenn es gelänge, diese Gesinnung
zu pflanzen und zu pflegen, sie auch ins Publikum zu
trageu, aus daß es wieder Lust hätte, Dichtung als Dicht-
ung srisch und froh zu genießen, daß es anfinge, sich als
ein literarisches Volk zu betragen. Denn ach, wir sind
im Großen und Ganzen eine Horde gebildeter Banausen,
wir, ja wir, die deutsche Nation von Anno heutzutage.

Jch sagte, daß in gleicher Weise der Epiker wie der
lyrische und selbst der dramatische Dichter des Vortrags
nicht entraten wollen, daß sie es aber können, wenn sie
ein.wirklich literarisches Publikum voraussetzen dürfen, daß
sie es sollen, wenn ihnen die Gränel des Theatertreibens
ihre reine Kunst unmöglich machen.

Man sieht ein, daß der Lyriker nicht nur nicht auf
die musikalische Mitwirkuug angewiesen ist, daß er sogar

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