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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 3 (1. Novemberheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0049

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Was sah ich dort? Zwar noch mancherlei wenig
aufregende Reste der alten, in Frankreich besonders ge-
pflegten klassizistischen Richtung mit ihren glatten, sauberen,
wachsfarbenen Gebilden, Meister Bonguerau an der Spitze,
Alles unserem modernen Empfinden fremd und künstlich
^— aber daneben eine blühende Schule der Farbe, des
Lichtes, der Luft, der Beobachtung, sdes Malerischen, mit
einem Worte ver Probleme. Chercheur nennt der Franzose
den Künstler, der sein Leben mit der Lösung technischer
Probleme verbringt, ohne einen sesten inneren Halt gewinnen
zu können. Chercheurs sind sie in gewissem Sinne Alle.
Sie mühen sich ab mit Aufgaben der Farbenwirknng, der
Lichtreslexe, der Luftstimmungen, sie erreichen wunderbare
Erfolge in der scharfen Beobachtung dieser Dinge, sie
bringen unsere Malerei wirklich eine Reihe Stufen weiter
auf der Skala der Naturbeobachtung, sie lassen ihrem
individuellen Auge, der Eigenart des Sehens bei jedem
einzelnen Künstler die vollste Freiheit — aber sie Lleiben
.stehen: bei der äußeren Erscheinung.

Der Eine, Eliot, stellt sich das Problem, die Farben-
reflepe zu schildern, welche durch eine möglichst bunte Um-
gebung auf einem helleren Gegenstand zu Tage treten.
Ob Bildnis, ob Landschaft, ob mythologische Szene, ist
ihm dabei gleichgiltig. Als Pastellist in dieser Anwendung
der bunten Stiste unübertrefslich, überträgt er dasselbe
System auf das Öl und zaubert über seine Bilder einen
Farbenglanz, wie er blendender noch niemals geschildert
wurde und, sollte man fast meinen, nur in den Tagen
des epochemachenden Serpentineusentanzes entstchen konnte,
der auf Mode, auf Gewerbe, auf Kunst in seinem be-
rauschenden Farbenspiel thatsächlich Einsluß zu üben beginnt.
Hier feiert die bloße Freude an der Farbe ihren Triumph.
Andere wieder heften ihr Auge an andere Erscheinungs-
formen der Dinge. Aman-Jean studiert den eigentümlichen
Zauber, der in der Kombination matter, vornehmer Farben
liegt, Picard will den mystischen Eindruck des nächtlichen
Meeres bannen, Harrison den des abendlichen, Carriere
setzt sich zum Lebenszweck, die merkwürdige Wirkung von
faserigen Konturen, die wie durch einen Schleier hindurch-
scheinen, an seincn Bildnissen zu studiren, Gandara macht
die Probe anf völlig naturalistisch, wie Momentbilder ersaßte
Konterfeis ganzer Figuren, Dannat beschäftigt sich mit
den fließenden Farbenlinien seiner spanischen Tänzerinnen,
Bouveret sucht die Freilichtmalerei mit schärfster Zeichnung
zu versöhnen, und die besten Bilder des Champ de Mars,
des Finländers Edelfelt Plättstube und des Engländers
Bramley Thee trinkende Familie lösen in der vollendetsten
Technik das Problem des Fensterlichts, das sich bei Bramley
noch in komplizirter Weise mit dem Licht des Kaminseuers
mischt. Überall, überall — ich könnte die Beispiele häusen
— ist es die Erscheinungsform, unter der die Dinge an
uns herantreten, die dcn Maler zur Wiedergabe reizt.
Diese Erscheinungssorm wird entweder Manier des
Künstlers, wie z. B. Raffaelli alle seine tresflich beobachteten
Pariser Straßenszenen mit einer schwärzlich schraffirten Art
malt, die er einer Regenstimmung abgelauscht zu haben
meint, oder der Maler versucht es gar mit einer Probe
anf mehrere solcher Formen. So kann man z. B. bei
den Gemälden Dinets, die (wie stets in den Pariser
neueren Ausstellungen) als einem Künstler zugehörig zu-
sammenhängen, ein Schwanken zwischen den verschieden-
artigsten technischen Methoden wahrnehmen, die je nach
dem Stoffe, sei es Bildnis oder Abendstimmung, eine
Nacht in Algier oder ein Feld bei Paris, sich abwechseln.

Es ist immer das Technische, was in den Vordergrund
tritt, die geniale Beobachtung und die meisterhafte Wieder-
gabe des Eindrucks. »Jmpressionismus« ist das Alles
im weitesten Sinne des Wortes. Gewiß, es ist das ab-
solut Malerische, wohin diese Knnst strebt, und es war
eine Erlösung, daß das Auge sich nach den Attitüden der
klassizistischen Kunst wieder für die weite Welt der malerischen
Stimmungen öffnete. Aber ob es das Höchste ist?

Als in dieser modernen Richtung, die ja nun überallhin
ihren Siegeszug richtet, die Malerei, wirkliche wonnige,
in Farbe und Licht, in Welt und Leben tauchende Malerei
wieder entdeckt wurde, da jnbelte jeder modern empfindende
Mensch dem endlichen Anbruch des neuen Tages begeistert
zu. Man vergaß vielleicht Lei dem Rausche der ersten
Jahre, daß ein Volk lebte, dem diese neu errungene Technik
doch nur ein Mittel zum Zwecke, eine notwcndige äußere
Daseinsbedingung sein konnte. Dies Volk war das deutsche.
Es ist die schönste Eigentümlichkeit des Deutschen, daß er
niemals bei der Technik stehen geblieben ist. Am deutlichsten
zeigt sich's bei der Musik, dieser tiefern Osfenbarung, die
den Deutschen von seiner innerlichsten Seite zeigt. Die
Musik ist im Grunde eine rein formale Kunst, eine Kunst,
in der sich, wie das Mittelalter gezeigt hat, bis zur völligen
Gefühlserstarrung technisch arbeiten läßt. Beethoven war
es, der diese Technik überwand, der den Geist in der
Musik entdeckte, der seine ganze dämonische Seele hinein
vergrub und eine neue Kunstgattung schuf. Gegen das
»streng Musikalische« mag er, mögen seine Nachfolger sich
oft vergangen haben, aber es lebte doch in seiner Künst
ein Höheres, das ihr den Sieg und die Bewunderung
errang. Das war die überströmende Jnnerlichkeit, die
unendliche Gemütstiefe, die seelische Wahrheit, die in seiner
Kunst ausklang. Und wir Deutschen vergessen gerne
technische Mängel ob solcher Größe.

Wie wäre es, wenn wir auch in der Malerei über
die nnn errungene Technik hinansgingen? Wie wäre es,
wenn wir hierin unseren heiligsten Kunstberuf fänden, der
Macht des innern, des aus der Tiefe unseres Herzens
anfsteigenden Ausdrucks zum Siege zu verhelfen? Ein
Einziger war es in Paris, der große Puvis de Chavannes,
der es vermochte, über die neue Technik hinaus an den
Jnhalt zu denken, aus dessen Gemälden eine große innerliche
Persönlichkeit sprach. Die meisten Anderen, bei all ihrer
Bedeutung, sind vom Eindruck nicht zum Ausdruck, von
der Bcobachtung nicht zum Jnnenleben fortgeschritten. Es
liegt den Romanen von jeher fern, das Was über das
Wie, den Reichtum des Jnhalts über die Vollendung der
äußeren Erscheinung zu stellen. Seine Subjektivität, wenn
sie auch noch so individuell entwickelt ist, ist doch immer
nur die Subjektivität der Jmpression. Auch in dieser
modernsten Erscheinung ist er Formalist, wenn man Form
im weitesten Sinne der äußeren Gestaltnng versteht, und
es ist wohl ein Band, das selbst einen Eliot mit Raeine
und Poussin verbindet. Über das Äußere ist es ihnen zu
schwer, hinwegzukommen, und sogar Puvis, in dem eine
fein empfindsame Seele lebt, ist in seinen letzten Entwürfen
(Viktor Hugo fürs Rathaus) leider auf dem Wege, beim
Suchen der einfachen Sinnigkeit von einem Hauch des
eiskalten Klassizismus angeweht zu werden. Dies Äußere
muß hinter uns bleiben. Äuf den Schultern der gewvnnenen
Technik müssen wir weiter streben, weiter hinein in unser
deutsches Gemütsleben.

Dem französischen Techniker ist der Jnhalt Name und
Beiwerk, dem deutschen Künstler soll er Hauptsache sein.

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