Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI issue:
Heft 11 (1. Märzheft 1894)
DOI article:
Rundschau
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0182

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
wcndig oder auch uur berechtigt crscheineu zu lasscu? Wie
kaun uian iu einer Zeit, deren Signatur iunuer mehr die
Raschlebigkeit uud das schnelle Berschiebeu der Verhältnisse
wird, den Zeitgeist so sehr oerkennen, daß man reine Be-
dürsnisbauten, von denen man aus Ersahrung weiß, daß
sic binnen weniger Jahrzehnte vergrößert, nmgestaltet, ver-
legt oder beseitigt werden müssen, als monumentale Vor-
würfe auffaßt? Jst ein Bahnhof, eine Markthalle oder
ein Schlachtviehhos, ja ist selbst eine Schule ein Gebäude
von so nnwandelbarer Orts- und Zweckbcstimmung oder
zur ReprLsentation gleichermaßen berufen, wie etwa ein
Parlamentsgebaude oder ein Reichsgericht? — Wenn die
Römer mit ihrem Sinn für das Rationelle vor Ausgaben
der erstgedachten Art gestellt worden waren, so würden sie
sicher solche GebLude als Nützlichkeitsbauten von temporLrem
Charakter anfgefaßt und behandelt, die reichereren pekuniLren
und künstlcrischen Mittcl aber für angemessenere Aufgaben
anfgespart haben. Es ist in letzter Zeit HLufig und mit
Necht empfehlend auf die alten Fassaden Nürnbergs,
Braunschweigs und anderer StLdte verwiesen worden, die
keineswegs eine im akademischen Sinne gleichmLßige Kom-
position aufweisen, sondern bei denen nur hier ein Portal,
dort ein Erker, da ein Dachaufbau dem Ganzen Bedcut-
samkeit und Reiz verleiht; denselben Gedanken sollte man
beim Entwerfen oder allmLligen Entstehen ganzer Straßen-
prvspekte und Stadtteile walten lassen, denn wenn nicht
cin GebLude dem andern als Folie dient, sondern jedes
Wohnhaus dieselbe Säulenstellnng, denselben imposanten
Ziergiebel erhält wie ein Museum oder ein Rathaus, so
geht mindestens der große Vorteil des Kontrastes sicher
verloren. Von einsichtigen Sciten wird, im Jnteresse der
Kunst nnd des Stils, gemahnt, auf dem Gebiete des Bau-
wesens und des Kunstgewerbes zur Einfachheit und Wahr-
heit zurückzukehren, nnd bei den vielen Klagen über den
Ernst und Drnck der Zeiten erscheint diese Mahnung
gewiß berechtigt; aber die monumentale Behandlung nicht
nur aller öffentlichen, sondern auch sehr vieler Privatbanten
ist bei uns konventionell geworden; es gilt stillschweigend
als Mode- nnd vermeintliche Ehrensache, bei solchen Ge-
legenheiten stets Prunkstücke zu schassen. — Jn so vielen
Dingen nehmen wir -— bewußt oder unbewußt — uns
die Nordamerikaner zum Muster; möchte es doch auch
in solchen Angelegenheiten geschehen. Wohl rümpft der
EuropLer anfLnglich die Nase, wenn er die erbärmlichen
Zoll- und HafengebLude oder die noch nicht einmal schlicht
zn nennenden Bahnhöfe in New-Ä)ork, Baltimore oder
Chicago sieht; hat er aber erst einige Monate in diesem
Lande der Zukunft gelebt, so erkennt er, daß es ein un-
verantwortlicher Lupus sein würde, sür Bedürfnisse, dic
sich vielleicht schon nächstes Jahr verLndern, monnmentale
Bauwerke zu schafsen. Jn Amerika sinden wir das be-
greislich, ja in der Ordnung; sind denn aber unsere
europäischen ZustLnde wirklich schon so greisenhaft geworden
und wie in China erstarrt, daß Umwandlungen auf dem
Gebicte des Handels, des Verkehrs und des Wohnens
gar nicht mehr denkbar wären? —

Die hier behandelte Frage hat aber auch noch eine
andere Seite.

Gewiß ist es etwas Großes nud Schönes, nach Vvll-
kommenheit auch aus dem Gebiete öfsentlicher Einrichtungen
zu streben; aber muß denn deshalb jede in der Zukunft
mögliche Verbessernng die Gegenwart beeinträchtigen?
Scheint es doch oft, als ob das Programm für all unsere
Bestrebungen hinsichtlich der Vegrößerung, Verbesserung nnd

^-----—

Verschönerung der StLdte für einen gewisscn Zeitpnnkt
der idealen Zukunft zugeschnittcn wLre und als. ob die
Lebenden bis dahin sich behelfen müßten — so gut odcr
so schlecht es gchcn will. Es kommt z. B. nicht selten
vor, daß neue Stadtteile durch Lltere Eisenbahnlinien in
der unertrLglichsten Weise in ihrem Verkehr mit dem
Stadtkern gehemnit und beläftigt werden, aber Jahrzehnte
lang müssen sie das ruhig ertragen, weil man de.r sofortigcn
Herstellung eines Tunnels oder FußgLngersteges die der-
einstige Höherlegung des Bahnplanums vorzieht. Jn einer
anderen Stadt sind die ZugLnge zum Marktplatz die aller-
nngenügendsten; cin GLßchen wird deshalb behufs Ver-
breiterung angekauft, aber diese selbst erfolgt viele Jahre
lang nicht, weil der Plan, den das Bedürfnis diktirt,
noch nicht großartig genug aussieht! — StLdte, die sich
in der raschesten Entwickelung besinden, besitzen gar keine,
oder zn viele, oder ganz veraltete Bauvorschriften; die
Behörden wie das baucnde Publikum leiden gleichermaßen
unter dem Mangel, der Überfülle oder der Veraltnng, aber
das jetzt banende Geschlecht muß sich mit dem Gedanken
trösten, daß an einer ganz wunderbaren, unübertrefflichen
Bauordnung gearbcitet wird, die spLter vielleicht anch
einmal eingeführt wird. Oder endlich: es ist beschlossen
worden, eine elektrische Station für den allgemeinen Ge-
brauch herzustellen; aber in der Hosfnung und Erwartnng,
die neuesten Erfindnngen nnd Verbesserungen dabei an
wenden zu können, verstreicht cin Jahr ums andere, vhne
den Beginn der Ausführung gesehen zu haben. Man
kann eben auch in solchen Dingen zu viel monnmentalen
Sinn entwickeln; der mit dem „Heute" rechnende Pankee
versteht es besser, die neuesten Errungenschaften der Technik
schon dem lebenden Geschlechte dienstbar zn machen, auch
wenn er sich klar bewußt ist, daß Verbesserungen vielleicht
bald komnien werden und müssen. Jn den „Perhand-
lungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbesleißes"
werden (im Sitzungsbericht vom 5. Dezember t8 92)
interessante Mitteilungen von Professor Riedler über
amerikanische Kraft-, Licht- und WLrmestationen wieder
gegeben. Jn überzeugender Weise (nLmlich an der Hand
konkreter Beispiele) wird dort der Beweis geführt, daß das
technisch Vollkommene nicht inimer am Platze ist, wenn die
in erster Linie zu berücksichtigenden örtlichen und wirt
schaftlichen VerhLltnisse besondere Bedingungcn stellcn.
Anstatt Betriebsanlagcn für mittlere nnd kleine StLdte
durch Neserve-Einrichtnngen usw. so vollkommen herzustellen,
daß die ErtragsfLhigkeit von vornherein verloren geht,
nininit man in Amerika auch einmal MLngel infolge
technischer llnvollkommenheit mit in Kauf, ehe man eine
auf die Dauer wirtschaftlich verfehlte, im Übrigen aber
unübertreffliche Anlage schasft.

Wir wisfen unsere Betrachtungen nicht besser zn schließen,
als mit dem Wort des Dichtcrs Halm, der ihren Gehalt
nieisterhaft zusammenfaßt in die kurzen Zeilen:

Die ihr schätzt nnr was vergcmgen,

Die ihr nur der Zukunft harrt,

Ach, vergeßt nicht tranmbefangen,

Daß das Leben Gegenwart.

veriniscbtes.

« Scbrikten über Ästbetik. 4.

Die ästhetische Form des abschließenden Aus-
gleichs in den 5hakesxereschen Dramen. Von j
vr. Stephan von Milletich. (Wien, Braumüller.)

- 172 —
 
Annotationen