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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

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Heft 13 (1. Aprilheft 1894)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0215

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ganz allein mit ihm Schaumstndien beim Glase Münchener
macht; sind ihrer nur drei zusammen, so nicken sie ernst-
haft niit den Köpsen und schmunzeln und können einander
ansehen, ohne zu lächeln. Denn wir modernen Menschen
haben mehr Selbstbeherrschung, als die römischen Auguren.
Jn der Bürgerschaft aber würde man eine Marineklasse
an der Kunstakadenüe sreundlich und vielleicht sreudia hin-
nehmen. Warum auch nicht? Die Künstler, welche Berliner
Straßen und Berliner Straßengestalten malen, gelten nicht
sür die vornehmsten. Der alte Menzel, der es auch thut
und immer besser, je alter er wird, ist eben eine Aus-
nahme. Wirkliche Berliner Prosessoren sind von je her
Professoren geworden, weil sie asrikanische Sonnenunter-
gänge oder afrikanische Löwen oder afrikanische Pyramiden-
bauer gemalt haben. Da kann zur Abwechslung mal in
Berlin ein Sturm im Eismeer oder ein Zyklon aus der
Südsee gemalt werden. Die Wellenstudien lassen sich ganz
gut aus der Spree und ihren Hafenanlagen machen. Über-
mütige Malerjünglinge, welche durchaus die große Natur be-
obachten wollen, können ja am Sonntag nach Wannsee sahren
und von den Havelusern Marineskizzen nach Hause bringen."

Zweite Berliner Kunstneuigkeit. Der Reichsanzeiger
macht über die kaiserliche Stiftung eines Preises zur För-
derung des Studiums der klassischen Kunst folgende Be-
stimmungen bekannt: „Es ist die vollständige Ergänzung
des jugendlichen Frauenkopfes aus Pergamon anzufertigen,
dessen verstümmeltes Marmororiginal sich im Berliner
Museum besindet. Deutsche Reichsangehörige sind berech-
tigt, an der Bewerbung Teil zu nehmen. Der Abdruck des
Kopfes ist zum Vorzugspreise von 5 Mark von der Ber-
liner Museumsverwaltung zu erhalten. Von dem ergänzten
Originalabguß ist ein Abguß bis zum sz. Dezember l89-t
mit Angabe des Namens und des Wohnsitzes des Ver-
fertigers der Museumsverwaltung in Berlin einzuliefern.
Die Entscheidung Sr. Majestät des Kaisers wird an
Kaisers Geburtstag t896 publizirt werden." Über das
Preisausschreiben an sich, dessen Jdee aus Reinhold Begas'
Haupte entsprungen sein soll, kann man bei einiger Willfährig-
keit des Geistes ja möglicherweise günstig denken. Daß
man aber den Monarchen als ersten Kunstsachverständigen
hinzustellen sucht, indem man ihn zur Übernahme eines
solchen Preisrichteramts bestimmt, ist wohl nur in Berlin
möglich. Wie es in ähnlichen Fällen die Mandarinen halten,
wissen wir freilich nicht.

Dritte Berliner Kunstneuigkeit. Es ist wirklich und
wahrhaftig so: Leoncavallo verfaßt im Auftrage des
deutschen Kaisers über einen deutschen Geschichtsstoff eine
Oper. „Gras Hochberg wurde mit der Ausgabe betraut,
einen passenden Stosf ausfindig zu machen; er hat als
Grundlage der Operndichtung den Roman von Willibald
Alepis: »Der Roland von Berlin« vorgeschlagen.
Der Dichter behandelt bekanntlich darin den gewaltigen
Zusammenstoß altmärkischer Überlieferungen mit den
Autoritätsbestrebungen des neuen Fürstenhauses der Hohen-
zollern. Jm Vordergrunde der Handlung steht Kur-
fürst Friedrich II., der Eiserne. Eine Ubersetzung des
Romans für den Komponisten ist bereits im Werke, und
Professor Taubert ist beauftragt worden, nach dem Roman
die Dichtung für die Oper zu verfassen. Leoncavallo hat
alle Arbeiten, die er geplant, zurückgelegt und sich ent-
schlossen, zuerst der für ihn so ehrenvollen kaiserlichen Aus-
gabe gerecht zu werden." So stand geschrieben, und unser

neuer natioualer Tondichter hat erklärt, nun wolle er bald
anfangen, deutsch zu lernen. Die Gruft in Bayreuth
deckt ein gar sester Stein. —

Wenden wir uns heitreren Dingen zu, wir waren ja
in der Karnevalslaune, als wir dieses Geplauder begannen.
Da wir gerade in Berlin sind, hilft uns vielleicht
Stettenheim zu ihr zurück. Kein Geringerer als er
selbst, man denke nur: als der große Stettenheim selbst!,
hat neulich im Verein „Berliner Presse" den dortigen
Geistesrittern von der sechsten Großmacht wieder „Dich-
tungen" von sich vorgelesen. Ach, muß das schön gewesen
sein! „Nun folgte Pointe auf Pointe. Blitz auf Blitz
zuckte hellstrahlend aus der Kathederwolke des Wespen-
Jupiterleins auf die Sterblichen nieder. Man mußte
gewaltig aufpasfen, wenn man all die Leuchtkugeln des
Humors, die pfeilschnell dahinschwirrenden Witzraketen und
das Strahlenbündel feiner satirischen Sonnenräder über-
schauen und mit offenen Augen genießen wollte." So liest
man darüber im Kleinen Journal, und wir finden es
unpasfend von den Münchner Nachrichten, daß sie dem
zufügen: „Was uns hier Wunder nimmt, ist nicht diese
Beräucherung, sondern der merkwürdige Umstand, daß Herr
Stettenheim von dieser Überfülle an Witz weder dem
Kleinen Journal, dessen Mitarbeiter er ist, noch seinen
Wespen je etwas zukommen läßt. Daß es aus Bescheiden-
heit geschieht, kann man nach obiger Probe kaum annehmen."
Weiß man denn nicht, daß Stettenheim nach Ansicht höchst
maßgebender Leute „einer der größten Humoristen der
Jetztzeit" ist? Und das sind nicht einmal dieselben, die
jüngst über Bülows Tod so ergreifend schrieben: „Dort im
Reiche der Pyramiden nahm vom Diesseits Abschied er,
dessen wunderbares Gedächtnis oft genug von Freunden
und Feinden ein pyramidales genannt worden war." Denn
so stand in den Leipziger „Neuesten Nachrichten" zu
lesen. Hätten die auf unsern Stettenheim gescholten, man
könnte ja denken, der Konkurrenzneid thäte das.

Aber nun genug aus der Reichshauptstadt, ein bißchen
Narrheit muß unfrer Plauderei doch auch die Provinz
liefern. Jn der ehrenfesten Stadt Eschenbach also im
Frankenland sollte diesen Sommer eine Wolsramfeier
sein, und Heyse hatte dafür ein Festfpiel gemacht. Zum
guten Abschluß steckt darin Wolfram von Eschenbach dem
Bürgermädchen den Ring an den Finger und er giebt ihm
feierlich den Verlobungskuß. Gegen diesen Kuß jedoch
erhoben Eschenbachs geistige Hirten Einspruch als gegen
eine „unsittliche" Handlung, die von den Zuschauern als
ein „Freibries" für alle Zuchtlosigkeiten aufgefaßt werden
würde. Das Lied klingt damit aus, daß die Väter der
Stadt beschlossen, von der Aufführung für dieses Jahr
abzusehen. Ilnd so werden die Jünglinge und Maide Eschen
bachs bewahrt bleiben vor Versuchung.

Warum aber, fragen die Leser, wird jetzt nicht von
der neuesten Vorgeschichte des Nationaldenkmals für unsern
ersten Kaiser gesprochen? Jst es vielleicht nicht tragi-
komisch zu sehen, wie den deutschen Volksvertretern angesichts
der Begasschen Leuen, Viktorien und Trophäen allmahlich
leid wird, was sie einst so leichten Herzens einmütig be-
schlossen haben, jetzt, da es zum Bessermachen zu spät ist?
Ja freilich ist das tragikomisch. Aber das Traurige über-
wiegt darin doch so, daß das Lächeln unversehens wehmütig
würde, und das gehörte sich nicht bei einer Nachlese aus
> Karnevalskränzen. _

» Scvöne Ikleider. — Illundscduu. Dichtung. Schöne Literatur. 3-z. — Theater. Bühnenverein

. und Theaterggenten.. — Musik. Wichtigere Musik-Aufführungen. 30. — Bildende Künste. Berliner
Kunstbrief. Münchner Kunstbrief. Dresdner Kunstbrief. Wiener Kunstbrief. Kunstblätter und Bilderwerke. z z. Lose Mlülter.

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