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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1894)
DOI Artikel:
Was uns die Kunstgeschichte lehrt, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0235

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Lrskes kDst-Dekt lSS4.

15. Dett.

Lrscbeint

Derausgeber:

Ferdümnd Nve,rartus.

Kestellpreis:
vierteljährlich 21/2 Mark.

Mas uns die Ikunstgescbicbte lekrt.

Leblussautsatz.

s bestätigt die Lehren der Kunstgeschichte, daß sich
in der Beurteilung der deutschen Zeichner und
„Stilisten" vom Anfange des Jahrhunderts
jetzt langsam eine Wandlung vollzieht. Wir
stehen ihnen anders gegenüber, als ihre Zeitgenossen, aber
auch anders, als die Menschen der unmittclbar auf sie
folgenden Zeit. Künstler jener Gruppe, die sich ehedem
einer annähernd gleichen Schätzung erfreuten, treten für
unser Gefühl weit auseinander nach ihrem Wert; die
Richtung überhaupt gilt uns weniger, wir fragen mehr
nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen innerhalb der
Richtung. Bilder, die von den Zeitgenossen als die besten
der betreffenden Meister gefeiert worden sind, treten da
für unser Bewußtsein zurück hinter damals minder gelobte
und hinter getadelte. Die Unterschiede zwischen dem Schaffen
der jüngeren und älteren Jahre im Leben des Einzelnen
werden uns auffälliger, und nicht immer erfreut uns am
meisten, was ehedem als das „Reifste" erschien. Fragen
wir aber, was uns z. B. die Jugendwerke eines Cornelius,
fragen wir überhaupt, was uns die Werke teuer macht,
die uns aus jener Zeit noch teuer geblieben sind, so finden
wir's bei der Dreiheit, von welcher die Kunstgeschichte
immer und immer wieder vor jedem goldenen Namen ihrer
Tafeln erzählt: so finden wir's bei den Zeugnissen von
eigner Volksart, eigenem Zeitgeiste, eigner Persönlichkeit.
Und wir Leklagen es heut als einen Jrrgang, was einst
als ein Fortschritt empfunden ward: daß der junge Quell
deutscher Kunst, der im Anfang unsres Jahrhunderts
echt deutschen Herzen entsprang, durch die Einflüsse aus
der italienischen Hochrenaissance vom heimischen Kunstboden
abgelenkt ward.

Als die klassizistischen und romantischen Pinselzeichner
aus einer „Richtung" zu einer „Schule" geworden waren
und als ihre Arbeiten nun mehr und mehr verflachten,
wandte sich die Jugend von ihnen ab — „Natur und
Farbe" hieß die Losung der Oppofition, die von Frank-
reich und Belgien her am schnellsten gefördert wurde. Sie
ermunterte die eingeschlafene Genußfähigkeit am Zusammen-
klang der Farben zum Kolorit und erweckte die Freude an
einer malerischen Pinselführung, an einer tüchtigen Technik
überhaupt. Dennoch läßt sich's nicht leugnen, daß die
Künstler dieser „neuen Richtung" (wir sprechen von den
deutschen darunter) mehr auf vergangene Zeiten und fremde
Länder hinsahen, als ihnen gut that, obgleich sich's um
Länder und Zeiten handelte, denen zu folgen noch nicht
das Gefährlichste war, und obgleich das Lernen von der
fremden Technik sicherlich nichts schadete. Woermann be-
merkt mit Recht, ^,etwas Jnternationales und Zeitloses"
sei ihnen geblieben. „Auch daß vielfach ein größeres Gewicht
auf Richtung, Schule und Rezept als auf persönliche Künstler-
kraft gelegt wurde, ist dieser Kunst nicht von Nutzen ge-
wesen. Ein unmittelbares, persönliches Verhältnis zur
Natur, wie wir es den größten Künstlern aller Zeiten und
Völker nachsühlen, gelangt hier nur bei wenigen Meistern
zur Geltung. Die historische und natürliche Richtigkeit
der Formengebung, die dabei stets vorausgesetzt wurde,
wurde häufig etwas äußerlich aufgefaßt. Die Malweise
und der malerische Reiz wurden zur Hauptsache, ja oft
zur Brille, durch die die Natur angesehen wurde. Eben-
daher auch die Vorliebe sür die Trachten fremder Zeiten."
Merkwürdig: nationale Empfindung, Beseelung durch den
Zeitgeist, persönliche Ofsenbarung wurden, wo sie sicherlich

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