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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1894)
DOI Artikel:
Tritonus: Musiker und Musikanten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0267

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Lrstes Znm-Dekt 1894.

17. Dekt.


Derausgeber:

^erdinand NvenarLus.

KesrcllprLts:
vierteljäbrlich 2 l/z Mark.

Musiker und

letzten Klänge der Lroicn sind vcrhalltz aber I
noch rauscht über ineine Scelc die Gotthcit
hin, wie körperlich in meiner Nähe fühle ich
. das Schicksal, „welches den Nrenschen erhebt,

wenn es den Menschen zermalmt". Znm zwanzigsten
Male hab ich das Werk heute gehbrst ,wd wieder war's
neu für mich, neu nicht nur wegen seiner ewigen Jugend,
nen auch, weil ich abermals manchen musikalischen Ge-
danken heute tiefer erfaßt habe, den ich bisher nur geahnt,
und wieder andere dieses Riesengeistes geahnt habe, die ich
das nächste Mal vielleicht erfassen werde, um ans dem
Strome seines Jchs mein kleines Stückchen Gartenland !
immer besser zu tränken. Der Saal leert sich, auch ich
muß gehen. Wie ich am Künstlerzimmer vorüberschreite,
kommen die Musiker dort heraus. Sind das dieselben
Menschen, die eben dieses Werk gespielt haben? Es ist
so wenig davon anf den Gesichtern stehen geblieben, —
merkwürdig! Da grüßt mich ein jnnger Mann, einer
von der ersten Klasse des Konservatoriums, der unter den
Orchestermitgliedern einen Freund erwartet. „Wie," frage
ich, „mußten Sie sich die Lroica. entgehen lassen?" „Ach,
wissen Sie," antwortet er mir, „ich habe sie schon zwei
Mal gehört! ..." Jch denke an seinen Mitstudirenden,
einen Mann, der in der Dresdner Hoskapelle schon Cello
mitspielte, als er mich sragte: „Von weni ist denn eigent-
lich dieser Fidelio?" Jch denke an noch andere gleich-
altrige Jünger der Tonkunst, und ich schweige.

Es handelt sich ja um grüne Leute; bei den geistig
ausgewachsenen sieht's wohl anders aus. Ach nein, die
Frucht wird leider so, wie sie in der Blüte steckt. Alt,
sehr alt sind die Klagen hervorragender Musiker über das

kDusikanten.

Plebejertuni unter ihren „Kollegen". Man erinnere sich
daran, wie schon Beethoven sie behandelte. llnd mit wie
wegwerfenden Ausdrücken sprachen z. B. Berlioz und
Wagner vom Herdentum ihrer Fachgenossen!

Jüngst hat Schenker von einer llnterredung erzählt,
die er mick einem begabten Mitgliede des berühmten phil-
harmonischen Orchesters in Wien gehabt. Eine Symphonie
des Böhmen Fibich war gespielt worden; „wie hat sie
Jhnen gesallen?", fragte der Kritiker den Musikus. Sie
habe ihn sehr amüsirt, meinte der Mann. Brahms sei
freilich nach den ersten Takten davongelaufen, aber was
bewiese das? Fibich sei „gemütvoller" als Brahms, in
Brahms stecke überhaupt „so gar kein Gemüt".

Das ist ein typisches Urteil: man kann in jedem Or-
chester tagtäglich hören, daß schunkelwalzerähnliches Ohren-
schaukeln für „Gemüt" genommen wird. Es ist, wie wenn
der Backfisch die Lyrik beurteilt: bei den sentimentalen
Klingelklangelkünstlern, bei den Rittershaus, Träger, Wolss
finden sie das „Gemüt", von dem sie bei Hölderlins
„Schicksalslied" oder Goethes „Braut von Korinth" kaum
schwärmen würden, obgleich doch eine Strophe in diesen
beiden Gedichten an Gemüt mehr hinströmen läßt, als auf
allen Fettaugen der Rittershausschen, Trägerschen und
Wolffschen Wassersuppen zusammen daherschwimmt. Das
heißt zu deutsch: seinem Gefühlöwerte nach wird nur
das Allerseichteste erfaßt; was irgend nnter der Oberfläche,
was gar in den Tiefen lebt, wird überhaupt nicht erkannt.
Aber unsre Musiker spielen doch, entgegnet man mir, Bach,
Beethoven, Wagner, und fie freuen sich daran und sie
schwärmen dafür — wäre das Alles gemacht, wäre es
Heuchelei? Gewiß nicht, die Freude nnd die Bewunder-


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