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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1894)
DOI Artikel:
Steinhausen, Heinrich: Von christlich religiöser Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0299

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Lrstes Zult-Ibekt 1994.

19. Dekt.

Lrscbeink

Derausgeber:

Ferdtnuud Nvenarius.

Kesrcllprets:
vierteljährlich 2i/z Mark.

7. Z-lbrg.

Von cbristlick

^L^Z^Aon christlich religiöser Kunst handeln heißt nicht ^
von christlicher Kunst überhaupt handeln. Denn I
allerdings ist das Christliche iin eigentlichen
immer eine Erscheinung und Äußerung
des Religiösen, wie man übrigens den Begriff der christlich
bestimmten Religiosität fassen möge; aber nach allgemein
üblichem Sprachgebrauch bezeichnen wir mit dem Merkmal
„christlich" auch alle Wirklichkeit, die irgendwie mit dem
Christeutum als geschichtlicher Thatsache zusammenhängt und
von ihr mitbestimmt wird, ohne doch dabei schon an das
Religiöse zu deuken. Wir sprechen von christlicher Kultur,
christlicheui Staat, christlicher Zeitrechnuug und haben dabei
nur ganz von ferne oder auch gar nicht religiöseBestimmungen
im Bewußtsein. So versteht man denn auch unter christ-
licher Kunst die gesamte Kunst, wie sie uuter den christlichen
Völkern, d. h. den Völkern, bei denen die christliche Religion
in öffentliche Geltung gekommen ist, im Lauf der Geschichte
sich entfaltet hat, und wir schließen dabei die rein weltliche
Kunst keineswegs aus.

Hingegen verstehen wir unter religiöser Kunst diejenige,
die in den Dienst des srommen Glaubens gestellt ist, ob
des verschwiegen im Gemüte des Einzelnen anzuregenden oder
des im Kultus öffentlich sich äußernden; und christlich
religiös wird dann diesenige Kunst sein, die sich positiv zur
christlicheu Frömmigkeit verhält.

Wir übersehen dabei nicht, daß freilich alle und
jede Kunst in ihren höchsten Hervorbringungen aus
den Empfänglichen eine Wirkung ausübt, die religiöser
Art ist; wir übersehen das so wenig, daß wir viel-
mehr überzeugt sind: was uns Spätgebornen an der
Antike selbst mit dem Anhauch unverwelkter Jugend erfreut

religiöser Ikunst.

und reizt, ist weniger das rein ästhetische Wohlgefallen
an der Musterhaftigkeit der Formen und Gestalten, als
der erhabene und rührende Eindruck, der von ihnen in die
Tiefe unseres Gemütes trisst. Denn unbestritten zwar
bleibe der griechischen Kunst der Charakter der in sich
befriedigten Daseinsfreude, die uns an allem Bruch des
Lebens „sanft vorüberführt"; aber doch: entreißt uns der
Anblick einer Juno Ludovisi, einer Venus von Milo oder
des Parthenongiebels nicht der Wirklichkeit, die uns beengt,
und führt uns einer Grenze zu, an der die Welt der Sinne
verschwindet und das Rätsel einer unerfahrenen und un-
erfahrbaren sich aufthut? Ja, kann bei der Betrachtung
der schlichtesten Darstellung einer unscheinbaren Familien-
szene auf den antiken Grabstelen, die sich in unseren Museen
finden, jene wehmütige Wirkung auch aufs Gemüt aus-
bleiben, die uns in den sreundlichen Erscheinungen unseres
Daseins zugleich die Vergänglichkeit unseres Looses fühlen
läßt? Das Nämliche gilt von den zierlichen Gebilden der
pompejanischen Wandmalereien, von den Architektureu der
Alten in ihren vollkommensten Ausgestaltungen, ob wir
vor den Tempelsäulen oder den Trümmern von Profau-
Lauten stehn.

Und was soll ich erst von den Kunstwerken, die es
wahrhaft sind, aus der christlichen Aera sagen! Alle jene
Bauwerke aus Zeiten hochentwickelten Kunstgefühls, die uns
auf Plätzen Nürnbergs, Venedigs u. s. w. umgeben, jedes
ächte Kunstwerk italienischer, deutscher, niederländischer
Malerei aus dem frühen Mittelalter bis zu unserm
Ludwig Richter herab — welches Stück des Natur- oder
Meuschenlebeus sie uns auch vorführen: könnt ihr sie mit
liebevollem Blick betrachten, ohne daß sich euch die Freude

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