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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 7.1893-1894

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1894)
DOI Artikel:
Grottewitz, Curt: Schönheitskeime in der neuen Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11728#0363

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Lrstes September-Dekt tSS4.

23. Dett.

Lrscketnt

Derausgeber:

FerdLnand Nvennrlus.

Kesrellpreis:
vierteljährlich 21/2 Mark.

7. Zabrg.

Lckönlieitskeime tn

rst an dem Tage wird die neue Dichtung end-
giltig über die alte gesiegt haben, an dem es
ihr gelingt, ein Werk zu schaffen, dem man
wieder in seinem ganzen Umfange das Beiwort
„schön" geben kann. Gerade dadurch hat sich die neue
Richtung in der Malerei jetzt überall die Herrfchaft er-
rungen, daß sie es verstanden hat, die mannigfachen Stoffe
und Eindrücke der Gegenwart, welche von den Naturalisten
einfach der Reihe nach kopirt und berichtet wurden, in
ihren Gemälden wieder zu Schönheitswirknngen zu ver-
arbeiten. Daß aber gerade der Malerei dieses Streben
leichter gemacht wurde, als allen anderen Künsten, und daß
z. B. der Jmpressionismus dort ganz andere Bedeutung
haben mußte als in der Dichtung, das liegt hauptsachlich
daran, daß die Malerei die Kunst der sichtbaren Farben
ist. Auch in der Dichtung befleißigt man sich jetzt einer
farbenreichen Stimmungsmalerei, indesfen diese hat es doch
viel weniger mit der Form als mit dem Jnhalt zu thnn.
Und die Form des gegenwärtigen Lebens ist ja oft fehr
imposant und schön, — was giebt es zum Beispiel in
einer Großstadt an Reichtümern, Kostbarkeiten, Prachtbauten,
Eleganz und so weiter zu sehen! Allein der Jnhalt, die
Jnnenseite dieser schönen Formen enthält viel Fäulnis und
Moder, da giebt es Elend und Schande, da klaffen furcht-
erregend die großen Widersprüche und Gegensätze unserer
Zeit. Dem Dichter wird es nicht leicht gemacht, seine
Beobachtungen über diese Jnnenseite zu einem künstlerisch
schönen Werke zusammenzufügen. Noch giebt es nirgends
Klärung, noch bekämpfen sich alte und neue Anschauungen,
Gedanken, Jdeale, Einrichtungen aufs heftigste. Und eine
Dichtung, die diefen heftigen Kampf wiederfpiegelt, wird

der neuen Diclitung.

leicht einen brutalen und häßlichen Eindruck machen. Nun
kommt freilich dazu, daß die neue Dichtung bisher fast
immer negativ gegen die alte aufgetreten ist, sast immer
das Alte zerstörend, aber sie hat sich wenig damit be-
schästigt, positive Gedanken zu vertreten, sie zeigte, daß das
Alte zn Grunde gehen muß, aber sie hattc nichts lebens-
fähiges Neues, dessen anfstrebende Bahn sie dem Leser als
etwas Erhebendes, etwas „Schönes" hätte vorführen können.

Trotz alledem sind auch jetzt schon in der neuen Dichtung
Ansätze vorhanden, welche sich aus der wirren Masse des
realistischen Rohmaterials hervorheben als kleine schlichte
Kunstbauten. Es sind das Schönheitskeime, noch spärlich
und gering, die aber Kunde davon geben, daß auch die
neue Dichtung sich ihre eigene Schönheit schasfen wird,
und die zngleich andeuten, von welcher Art diese Schönheit
sein wird.

Denn das ist klar, daß die neue Kunst wesentlich
andere ästhetische Werte hervorbringen muß, als die alte.
Menzels Eisenwalzwerk weist keine Schönheiten auf, wie
man sie an Kaulbachschen und Pilotyschen Werken bewunderte,
trotzdem aber haben wir von diesem Gemälde einen hohen
ästhetischen Genuß. Wir haben davon ein Gefühl der
Jmpofantheit, wir empsinden darin die Großartigkeit des
Fabrikbetriebes unserer Zeit, es liegt darin der gewaltige
Ernst großer Arbeit und der Sieg der Menschheit über
die Kräfte der Natur. Dieses Gefühl der Jmposantheit
aber, welches alle diese Eindrücke von dem Gemälde
Menzels in uns erwecken, gehört ebenso gut zu der Reihe
der ästhetischen Gefühle, wie das Gefühl „schön", das
etwa ein Feuerbachisches Gemälde erweckt, dazu gehört.
Unsere Sprache ist ja leider gerade hinsichtlich der Aus-
 
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