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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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Popper-Lynkeus, Josef: Aus Josef Poppers Schriften
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Der Weltangstschrei
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0347

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machsn, daZ in dieser Ligenschaft liegt, und die unrichtige allgemeine Auf-
fassung zu korrigieren, welche Güte als etwas Rntergeordnetes ansieht,
das gegen Genie, Energie, Gelehrsamkeit und dergleichen nur von ge-
ringer Bedeutung sei.

Es ist nicht nur der Nutzen, den man direkt oder indirert von einem guten
Menschen zu erwarten hat, der Güte so schätzenswert macht, sondern es
ist schon die bloße Tatsache, daß gute Menschen eristieren, eine Trost-
erscheinung inmitten aller der feindlichen Mächte der Natur und inner-
halb der Menschheit selbst. Weder natürliche Intelligenz oder Genie,
noch Bildung, noch Schönheit oder bloße äußerliche Liebenswürdigkeit,
auch nicht vornehme Gesinnung, selbst nicht Schwung und Idealismus,
vermögen sich mit Güte an gewissermaßen tröstendem, beruhigendem Wert
zu vergleichen.

Wenn irgendwann in einer Gesellschaft, die doch wohl zumeist aus
boshaften oder mindestens kalten und bloß eigennützigen Individuen zu-
sammengesetzt ist, ein wahrhaft guter Mensch erscheint, dem man in der
Regel ja diese Eigenschaft schon am Gesicht ablesen kann, so ist es, wie
wenn inmitten der dunkeln Nacht die Sonne aufgeht. Und wenn nun
zur Güte und zum hilfereichen Wohlwollen auch noch die äußere Liebens-
würdigkeit, und beides in so hohem Grade, hinzukommt, wie das bei Vol-
taire und fast nur bei Volltaire der Fall war, so fühlt man ein Höchstes
Wohlbehagen bei dem Gedanken, daß überhaupt irgend einmal ein solcher
Mensch gelebt hat. Ich halte eine solche Erscheinung und ihr Andenken
für weit höher stehend, als die Erinnerung an eine Erscheinung größter
Schönheit, die zu preisen Künstler nie müde wurden. . . .

(Aus dem Buche ^Voltaire", Verlag C. Reißner, Dresden.)

Der Weltangstschrei

»^wei Freunde gingen des Nachts die Landstraße einher, die inmitten
^einer weit ausgedehnten Lbene zunächst nach einem kleinen Städt-
ik^F chen führte.

Die schmale Mondsichel, oft von vorbeiziehenden Wolken verdeckt, be°
leuchtete die Landschaft nur spärlich und unsicher; die Straße war ganz
ohne Verkehr, jedes menschliche Geräusch war verstummt, die zahlreichen
Dörfer dieser Gegend waren unsichtbar, kein einziges Fenster zelgte Licht.

Die beiden Freunde, allein in dieser ruhigen und dnnklen wie endlosen
Ebene, fühlten sich immer mehr vereinsamt, und wie in einer neuen und
unheimlichen Welt, die sie jetzt zu durchwandern hätten.

Der Stoff zu Gesprächen war bereits erschöpft; sie hatten ihre eigenen
Angelegenheitcn, sie hatten auch allgemeine Themen nach allen Seiten
bereits durchgesprochen, und gingen nun dahin, als ob jeder allein und
meilenweit vom anderen entfernt gewesen wäre. Ieder brütete, halb
empfindend, halb denkend, im Nnbestimmten vor sich hin.

Da hörten sie plötzlich wie aus unendlicher Ferne her einen langge--
zogenen Schrei, der sich im Dunkel ausbreitete und im weiten Raume
verlor. Beide horchten, wandten den Kopf, um zu wissen, woher der Schrei
gekommen, sprachen nicht, blickten wieder gerade vor sich hin in das endlose
Dunkel, und gingen weiter.

Nach einer kurzen Zeit drang wieder ein Schrei durch die Nacht, ähnlich
dem Schrei eines ungeheuren, schwer leidenden Menschen; allmählich an-
 
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