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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 2
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Seydlitz, Reinhard von: Der Sieg des blonden Haares in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0105

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— —

war blond. Wo allerdings als Zeugnis nur das Wort
griechischer Dichter vorliegt, muss mit der Bestimm-
ung der Haarfarbe vorsichtig zurückgehalten werden;
denn wenn Pindar vom Haar der Musen sagt, es sei
veilchenfarben, so ist dies eben wieder eines jener vielen
Farbenrätsel, welche uns die griechischen Dichter hinter-
lassen haben und um derenwillen die Griechen von
Einigen als »sprachlich farbenblind« gebrandmarkt wor-
den sind.
Eines dürfte aber sicher sein: sie färbten ihre
Statuen. Nun hören wir von Götterbildern aus Gold
und Elfenbein; sollen wir annehmen, dass diese nicht
gefärbt waren? Nehmen wir an, dass Farbe angewandt
wurde, um den heftigen Contrast des aus Elfenbein ge-
bildeten Fleisches und der goldnen oder vergoldeten
Haare zu mildern — so thut sich eine überraschende
Perspective auf: indem die Fleischpartien in mehr oder
weniger der Natur abgelauschten Tönen lasirt wurden,
und der grobe Metallglanz der Haare desgleichen so-
weit herabgestimmt und mit den warmen Tönen, welche
das Blondhaar im Schatten (Körperschatten) zeigt, ver-
sehen wurde, dass das Ganze wirklichen Haarmassen
zu ähneln begann, hatte der Künstler zweierlei vor dem
Bemaler einer Marmorstatue voraus: Haar und Fleisch
waren, wie in der Natur, zwei ganz verschiedene und
auch verschieden reflectierende Stoffe, und zweitens
brauchte er nur zu lasieren, um den Emaileffect her-
vorzubringen, den das blonde Incarnat im Gegensatz
zum brünetten aufweist, und der auf dem seine Kalk-
natur nie verleugnenden Marmor nicht gelingen kann.
Allerdings — es ist nicht zu übersehen, dass im
Süden, damals wie heute, die schärfsten Farbencontraste
gewagt und ertragen wurden und werden. Die für unser
feiner moduliertes Empfinden störende ersichtliche Un-
wahrheit z. B., die zu Tage tritt, wenn eine Brünette
sich ein strohblondes Haar zulegt, stört den Italiener
nicht, mag es nun eine Perrücke oder blondgefärbtes
Haar sein, dessen nachwachsende Stücken der Haut
einen bei echtem, blondem Haar nie vorkommenden
blauen Schimmer geben, der sich dann noch unterstützt
findet durch die tief und warm getönte Complexion.
Wohl aber ist diese Unwahrheit früher von einigen Ver-
nünftigen wenigstens erkannt worden. Der französische
Dichter J. du Bellay sagt einmal treffend: »tresses
blondoyantes, faces brünettes«, — ein Ausspruch, der
mir argem Ketzer manchmal sogar vor einem Meister-
werk Palma’s wieder einfiel.
Denn alle — oder vermutlich beinahe alle — diese
herrlichen Venezianerinnen und anderen italienischen
Frauen, welche der Pinsel der grossen Meister jener
Zeit uns in unnachahmlichem goldblondem Haarschmuck
verewigt hat, — färbten sich ihr Haar mit enormem
Aufwand von Zeit, Geld und Gesundheit: Parte bion-
deggiante war von Venedig aus damals durch ganz
Italien, Frankreich und Spanien verbreitet; und die Kunst
hätte sich dieser Mode sicherlich nur im Porträt gebeugt,
wenn nicht eben jene antike Sehnsucht nach Blondheit,
jene Erhebung des blonden Typus zum Ideal des schwarz-
haarigen Teiles von Europa, die Künstler getrieben hätte,
die blonde Mode auch bei Idealfiguren zu verwerten; —
waren doch damals blonde Modelle in italienischen
Städten vermutlich mehr vorhanden als schwarze.
Eine so gewaltig verbreitete Mode, deren Befolgung
sich wie es scheint nur die Armen entzogen, warf nun

natürlich ihre Reflexe auch in die zeitgenössische Litte-
ratur; von dem allgemeinen, uns Deutschen so verwun-
derlichen Blondgeschrei hallte Poesie und Prosa wider.
Ueber Recepte, Anwendungsweise und Folgen sind wir
sehr genau unterrichtet, und es gehört arge Unkenntnis
jener Literatur dazu, das berühmte venezianische Gold-
blond lediglich einer Rassenmischung zuzuschreiben, bei
der die Veneter (Wenden) mit ihrer hellen Haarfarbe
über die dunklen südlichen Ureinwohner den Sieg davon-
getragen haben sollten.
Nicht weniger als drei Bücher mit der Jahreszahl
1499 sprechen vom Blondfärben: das erste ist die be-
rühmte Hypnerotomachia des Fra Francesco Colonna,
das zweite, die spanische tragicomedia »Celestine«, ent-
hält sogar ein Recept »para enruviar« : Weinrebenholz,
Eichenblätter, Mutterkorn, Schafgarbe, Andorn, Salpeter
und Alaun; diesem schliesst sich als drittes das Buch
Bernardo Giambullari’s an, dessen Recept unter anderm
auch Schlangenfett enthält. Man denkt bei derlei Mix-
turen an die Hexenküche im Faust, an den Kessel der
drei Hexen im Macbeth oder an die Wolfschlucht im
Freischütz! Heutzutage thut blondbedürftigen Frauen
eine leichte Lösung von Wasserstoffsäure den gleichen
Dienst!
A. F. Doni giebt in seinem Werk »I Marmi« (1552,
Venedig bei Marcolini) nicht nur textlich, sondern auch
bildlich das Geheimnis preis. Das bekannteste Buch,
das die Blondmachekunst bespricht, ist aber C. Vecellio’s
berühmtes Kostümwerk. Schon in der ersten Auflage
1590 bringt es die Abbildung einer Venezianerin, die
sich das Haar färbt. Man begab sich dazu auf den
Söller des Hauses, legte einen leichten weissen Mantel
zum Schutz des Körpers gegen die Sonnenstrahlen um,
und setzte eine Art breitrandigen Strohhutes auf, solana
genannt. Dieser Hut hatte keinen Kopf, sondern durch
die offene Mitte zog man das gesamte Kopfhaar her-
vor und breitete es über dem schirmartigen Hutrande
aus, nachdem es mit dem wirkungsvollen Elixir ange-
feuchtet war. So, in der prallen Glut einer italienischen
Mittagssonne, musste nun stundenlang gesessen werden.
Denn das gewünschte Blond erschien nur, wenn die
Sonne das Haar trocknete, — ein Umstand, der ver-
muten lässt, dass unterm Einfluss der Sonnenglut oder
des starken Lichtes sich in der höllischen Mixtur eine
chemische Verbindung bildete, bei der Wasserstoffsäure
frei wurde.
Und die Gesundheit der Damen?
Als ob eine Frau durch solche Kleinigkeiten sich
je hätte hindern lassen, sich — nach ihrer Meinung — zu
verschönern! Friert je eine schöne, ihrer Schönheit be-
wusste Frau, wenn sie decolletiert erscheinen kann ?
— Solana hiess wie bemerkt jener Hut ohne Boden;
es lässt auf trübe Erfahrungen schliessen, wenn wir
bedenken, dass der Venezianer für: den Sonnenstich
bekommen, sagt: chiappar la solana; da doch sonst in
Italien als erste Gesundheitsregel gilt: non si deve mai
insolarsi!
Eine dritte Abbildung soll bei A. Fabri »Diversarum
nationum ornatus, 1593, sich in Band I, auf Tafel 10,
befinden (vgl. das hochinteressante Buch »Les femmes
blondes« selon les Peintres de PEcole de Venise. Par
deuxVenitiens [Baschet etFeuillet deConches] Parisi865).
Während sonst ein oder zwei Menschenalter als
Dauer einer Mode anzusetzen sind, hat diese »blonde
 
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