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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 3
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Stettner, Thomas: Das Münchner Künstlerfest von 1840: Eugen Neureuther. Gottfried Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0167

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143

Zweiter mit seinem Griffel festzuhalten verstand, thätig
am Feste teilnehmen liess, und wenige Wochen nach
demselben einen jungen Künstler nach München führte,
der mit begeistertem Herzen in die Wogen des Künst-
lertums sich warf, um nach jahrelangem Ringen zum
Entschluss des Entsagens zu kommen; denn für ihn
winkte auf anderen Höhen in der Ferne der Lorbeer.
Es war Gottfried Keller, der im »grünen Heinrich«
uns eine so ausführliche und lebenswarme Schilderung
des Festes gibt.
Eugen Neureuther hatte vier Jahre vorher dem
deutschen Volk im »Dornröschen« ein Werk geschenkt,
dessen unerschöpflicher Reichtum an Erfindung und
Formenschönheit allgemeines Entzücken erregte und
das, den Wechsel des Geschmacks überdauernd, heute
noch tausende von deutschen Häusern schmückt, von
den Enkeln und Urenkeln ebenso andächtig bestaunt
und geliebt wie einst von den Grossvätern. Er war
der Berufene, den Teilnehmern am Feste eine Erinner-
ung, den andern einen Abglanz desselben im Bilde zu
schaffen.
Wie das Fest selbst, zerfällt auch die Radierung
in drei Teile. Im Arabeskenwerk (— einer Kunstform,
die seit Dürer Niemand mit gleicher Kunst und poet-
ischer Kraft geübt, wie unser Meister —) sind die un-
gezählten Gestalten des Zuges der Zünfte und Meister-
sänger untergebracht, mit ihren Insignien und Standarten
gar eine bunte Welt; rechts bildet das Standbild von
Hans Sachs, links das Peter Vischers den Mittelpunkt.
Gottfried Keller’s Schilderung wird uns manche dieser
Gestalten erklären und unserem Herzen näher bringen,
doch entstammt sie nicht der frischen Erinnerung an
das, was er in jener Zeit von den Festgenossen gehört,
sondern er hatte unser Blatt, das in seinem Studier-
zimmer hing, dabei vor Augen; vornehmlich aber be-
nutzte er Marggraff’s Festbüchlein, zum Teile in wört-
licher Anführung. Aber mit welcher Kunst! Durch
Hinzufügen eines Wortes oder Hervorheben eines Zuges
hat er, in der schlichten, fast herben Sprache dieses
Teiles, die Gestalten in markigen Zügen vor unser
Auge gestellt, als habe Dürer sie in Holz geschnitten.
Den Mittelpunkt des Blattes nimmt der Hauptvor-
gang des Festes ein. Kaiser Max erteilt Dürer (— den
Gerhard darstellte —) das Wappen, das zum Künstler-
wappen geworden ist. Kunz von Rosen erklärt dem
überraschten Meister die Bedeutung der hohen Aus-
zeichnung. Auf den Stab gestützt, sieht Wohlgemut
still dem Vorgang zu. Adam Kraft sieht ihm über die
Schulter, dahinter erscheint Pirkheimer’s Haupt. Zur
Rechten des Kaisers (— vom Beschauer aus gesehen —)
stehen W. von Roggendorf, (—- Lossow —) U. von
Schellenberg (Heinlein — ein Portrait in diesem Costume
ist in der Pinakothek —), Erich von Braunschweig,
(Bräutigam), linker Hand im Schatten Sickingen (Beer),
Sittig von Hohenems (Mende) und A. von Sonnenburg,
(Lindenschmidt, der den Landsknechtszug geordnet
hatte). Die Bannerträger von Tirol, Steiermark und
Habsburg schliessen die Gruppe ab.
In der schönen Frau im Patricieringewand (rechts)
und der betrachtend dastehenden, im Profil sichtbaren
Gestalt im Mantel und Barett werden wir wohl den
Meister selbst mit seiner Frau vermuten dürfen.
Diesen Teil des Zuges hat Keller nur kurz be-
rührt, um dann desto breiter den dritten Teil zu be-

handeln, in den die Fäden des Romans sich wieder
hineinschlingen. Er bezieht auch die Aufführungen und
Narreteien ein, die beim Bankett und Tanz die Leute
unterhielten, während Neureuthers Blatt von dieser
Fortsetzung des Festes schweigt.
Da die Nürnberger der alten Zeit Mummereien
und lustige Aufzüge über die Massen liebten, nicht
weniger aber auch der Kaiser, bei dem keine Fest-
lichkeit ohne Maskerade abging, war der Gedanke,
dem ernsten Festzug eine solche anzufügen, ein sehr
glücklicher.
Unter einer barocken Musik von Pfeifen und Hörnern
naht auf störrischem Esel Peter von Altenhaus, der
kaiserliche Mummereimeister. Ihm folgen die Narren
aller Art in bunter Auswahl. Ein Thyrsusträger führt
eine in Bockshäute vermummte Musikbande an, dann
gleitet an uns der Triumphwagen der Venus, von Ge-
fangenen jeder Art umgeben, vorbei.
Der Bacchuszug vereinigt biblische und antike
Bilder in sich und ist vom Zug der Diana, (die bei
Keller von der schönen Agnes vorgestellt wird) gefolgt.
Als wilder Mann führt ihn ein gewaltiger Recke, dessen
Gestalt in allen unsern Bildern wiederkehrt, Keller’s
Erikson. (Den Armen raffte ganz kurz darauf im fernen
Land die Schwindsucht dahin.) Die schönste Gruppe
aber, »so zauberhaft lieblich, so anmutig und seltsam,
als wäre sie aus dem Wunderschacht der nordischen
Märchenwelt in die uns umgebende Wirklichkeit hin-
eingezaubert«, war der von Neureuther entworfene und
ausgeführte Zug des Bergkönigs. Der kleine Berggeist
mit dem strahlenden Grubenlicht auf dem Kopf war
ein Künstler von zwerghaftem Wuchs (die Pinakothek
bewahrt ein einst vielbewundertes Stillleben von seiner
Hand). Hinter dem Bergkönig prägt der Prägemeister
Münzen, die die beiden Pagen »Gold« und »Silber«
dem Säckelmeister übergeben, der sie unter das Volk
wirft. Als letzter aber schreitet einsam und verlassen,
dürftig und achselzuckend der Narr Gülichisch einher,
dem verdutzten Volk den leeren Beutel zeigend.
Hier verlässt uns Neureuther und für Umzug und
Bankett geleitet uns Keller allein und bleibt uns auch
treu, um uns vom Auszug auf die Menterschwaig zu
erzählen.
Seine Schilderung ist wieder, obwohl er nicht selbst
daran teilgenommen, wahr in dem höheren Sinne, dass
sie nicht eine Aufzählung einzelner Wirklichkeiten ist,
sondern ein Nachklang jener Tage, der uns mitten in
ihre Stimmung und in ihr Thun versetzt. Seine in-
timsten Freunde hatten ja handelnd teilgenommen am
Fest, und sicher bildete es noch lange den Gesprächs-
' stoff der Künstlerkreise; und dazu nahm er wohl die
Farben aus eigenen Fahrten und Erlebnissen im schönen
Isarthal, sodass Wahrheit und Dichtung gar harmonisch
verschmelzen. Ist doch auch die schlanke Agnes keine
blosse Gestalt der Dichterphantasie, sondern ihr Bild
hing noch in späteren Zeiten — ein hübsches Mädchen
mit blondem Lockenkopf in blauem Gewand — über
des Dichters Schreibtisch.*)
Ein gar selten gewordenes Blatt hat uns auch
diesen Teil des Festes im Bilde festgehalten. Die Ge-
stalten, die uns in der Darstellung des Festzuges gar
feierlich entgegen traten, kehren hier wieder, aber im

*) Baechtold, Gottfried Kellers Leben, I. p. 107.
 
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