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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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Gantner, Joseph: Steine der Lebenden
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https://doi.org/10.11588/diglit.17441#0154

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zu beftimmen haben, wie der Stein oder das Kreuz oder die Platte ausfehen
müffen, unter denen ein Angehöriger ruht, und nur dann darf die Oeffent-
lichkeit eingreifen, wenn die Form, die der Trauernde wählt, allzu gefchmack-
los ift, oder wenn das Grabzeichen von der Stadt einem Mitfellofen gefchenkt
wird. So argumentierte, und gewifj im Namen Vieler, Benno Reifenberg in
einem lehr eindringlichen Auffatz „Tote Steine" im Stadtblatt der „Frankfurter
Zeitung" vom 29. Februar 1928.

In dem einen Punkte hat diefe Meinung beftimmt recht: unfere Zeit befitzt
keinen, noch keinen einheitlichen Ausdruck, aus dem, gleichfam wie von felbft,
eine Grabkultur erwachfen würde. Allein heiht das nun, dafj wir dielen Zu-
ftand einfach hinnehmen, ihn wohl beklagen, aber im übrigen akzeptieren
follen? Wir beklagen ihn, und alfo wünfchen wir, es wäre anders. Und wer
dazu berufen ift, der helfe, dafj es anders wird ! Wozu hätten wir fonft Ämter
und Schulen ? Um die Vergangenheit zu betrachten und feftzuftellen, dafj fie
eine Kultur befafj, wie fie uns abgeht? Das wäre Inzucht. Nein, Aemter und
Schulen müffen alles tun, was in ihrer Macht fteht, um die Formvorfteilungen
der erwachfenen und noch mehr der heranwachfenden Menfchen fo zu rei-
nigen, fo zu lenken, dafj ein einheitlicher Ausdruck für beftimmte Aufgaben
wieder langlam möglich wird. Eine Tat in diefer Richtung ift die Frankfurter
Friedhofsordnung, ift jedes Baugefet), follte jeder künftlerifche Unterricht fein !
Dafj fo etwas nie auf den erften Anhieb hin gelingt — wer wüfjte das beffer
als diejenigen, die an den Aufgaben felbft arbeiten! Aber wie find denn
die Formen, die wir heute neidvoll als einheitlichen Ausdruck einer früheren
Zeit verehren, wie find, um bei der Sache zu bleiben, die einheitlichen alten
Friedhöfe entftanden? Nicht ganz fo von ungefähr, wie man gerne glaubt.
Sondern ebenfo durch Verordnungen, durch Normen wie es heute verfucht
wird. Ein Ratsdekret, eine Klofterregel, eine Familientradition forderte, wo es
nötig war, diejenige Befchränkung und Einfachheit, die der Einzelne fo gerne
überfchritt und überfchreifet!

Im Grunde anerkennen auch die Zweifler, dafj heute wenigftens die Anfätje
zu einer einheitlichen Kultur vorhanden find, denn auch fie wünfchen, dafj
die gröfjten Gefchmacklosigkeiten eingedämmt, dafj für die Normengrab-
fteine der Unbemittelten einfache Formen gesucht werden. Beides kann man
nur dann, wenn wenigftens über die allgemeinfte Gefchmacksfrage Ver-
Itändigung herrfcht, Verftändigung über die letjten Ziele unter denen, die
fich aus Neigung oder Beruf mit der Geftaltung des modernen Lebens be-
fchäftigen. Sind wir fo weit?

Ja, die Minorität, die heute die Grenzen nach vorwärts abzudecken fucht,
ift fo weit. Aber fie fteht noch faft allein da. Und damit ift der wichtigfte Ein-
wand berührt: das Recht der Trauernden, die Form des Grabzeichens
- innerhalb der unumgänglichen Grenzen — felbft zu beftimmen. Man
vergifjt allzuleicht, wer da bestimmen mufj. Alljährlich fterben in Frankfurt
 
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