NEUE WEGE DES MUSIKUNTERRICHTS von Licco Anw, Frankfurt a. M.
In Anbetracht der grofjen Veränderung, die unfer Verhältnis zur Musik in
den legten Jahren erfahren hat, ift es nicht verwunderlich, dafj fchriftliche
und mündliche Auseinanderfetjungen über die Fragen des Mufikunferrichts
alle beteiligten Kreife in wachfendem Mafje befchäffigen. Es wird ungemein
viel von allerhand „Problemen" geredet und mehr oder weniger offen zu-
geftanden, dafj der begehende Zuftand weder unferen neuen Anfchauungen
noch den veränderten praktifchen Bedürfniffen entfpricht. In der Tat wird an
allen Lehranftalten verfucht, durch Einfügung immer neuer Fächer in den
Lehrplan die zutage tretenden Lücken in der Ausbildung der Studierenden
zu fchliehen. Diefes Verfahren bewirkt aber lediglich eine Anhäufung von
einzelnen (häufig fehr anfechtbaren) Kenntniffen; der Kernpunkt aller Er-
ziehung liegt aber in der Erweckung und Entwicklung des mufikalifch-logifchen
Denkens und in der praktifchen Anwendung der Refultate diefes Denk-
prozeffes.
Die Grundlagen unferes jetygen Unterrichtsfyftems entftammen jener Epoche,
die in der Mufik die rein inftrumentale Leiftung in den Vordergrund (teilte.
Diefes Zeitalter ift nun unwiederbringlich, und nicht zu unferem Nachteil,
entfchwunden. Trotjdem ift jeder Studierende mangels anderer Möglich-
keiten immer noch darauf angewiefen, sich einfeitig als Klavier-, Violin-,
Gesangsfchüler ufw. mit Mufik zu befaffen. Das Erziehungsideal aller un-
ferer Lehranftalten ift auf Virtuofifät eingeteilt, das Streben nach der Be-
herrfchung des Inftruments ift „Hauptfach". Anderfeits führt das immer mehr
zunehmende Vollpfropfen des Lehrplanes mit theoretifchen und anderen
Nebenfächern nur zu einer überlaftung des Schülers, fetjt ihn aber nicht in
Stande, den mufikalifchen Organismus im Ganzen zu erkennen und dar-
zuffellen.
Mit anderen Worten: der theorefifche oder inftrumentale Unterricht (fo wie
das alles heute gehandhabt wird, lauter ifolierte Fächer als Selbftzweck) ver-
mag ftets nur die eine oder die andere Seite des mufikalifchen Gefamt-
komplexes zu beleuchten; erft die gegenfeitige Durchdringung diefer Difzi-
plinen, die Zufammenfaffung der einzelnen Stränge zu einem Bündel führt
zum Ziele, nämlich zur Heranbildung der mufikalifchen Auffaffungskraft und
der Kräftigung des Willens zur künftlerifchen Wahrheit.
Wir fehen, darj der Herausbildung eines einheitlichen mufikalifchen Welt-
bildes als höchftes Ziel der Erziehung vor allem die Zufammenhanglofigkeit
und abfolute Trennung der einzelnen Wiffensgebiete im Wege fteht. Es
wäre auch wohl der Mühe wert feftzuftellen, inwieweit das innerhalb der
einzelnen Fächer Gelehrte heute noch gültig ift, doch ift hierfür im Rahmen
einer kurzen allgemeinen Betrachtung kein Raum.
Was kann nun gefchehen, um das fchädliche Auseinanderfallen der einzelnen
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In Anbetracht der grofjen Veränderung, die unfer Verhältnis zur Musik in
den legten Jahren erfahren hat, ift es nicht verwunderlich, dafj fchriftliche
und mündliche Auseinanderfetjungen über die Fragen des Mufikunferrichts
alle beteiligten Kreife in wachfendem Mafje befchäffigen. Es wird ungemein
viel von allerhand „Problemen" geredet und mehr oder weniger offen zu-
geftanden, dafj der begehende Zuftand weder unferen neuen Anfchauungen
noch den veränderten praktifchen Bedürfniffen entfpricht. In der Tat wird an
allen Lehranftalten verfucht, durch Einfügung immer neuer Fächer in den
Lehrplan die zutage tretenden Lücken in der Ausbildung der Studierenden
zu fchliehen. Diefes Verfahren bewirkt aber lediglich eine Anhäufung von
einzelnen (häufig fehr anfechtbaren) Kenntniffen; der Kernpunkt aller Er-
ziehung liegt aber in der Erweckung und Entwicklung des mufikalifch-logifchen
Denkens und in der praktifchen Anwendung der Refultate diefes Denk-
prozeffes.
Die Grundlagen unferes jetygen Unterrichtsfyftems entftammen jener Epoche,
die in der Mufik die rein inftrumentale Leiftung in den Vordergrund (teilte.
Diefes Zeitalter ift nun unwiederbringlich, und nicht zu unferem Nachteil,
entfchwunden. Trotjdem ift jeder Studierende mangels anderer Möglich-
keiten immer noch darauf angewiefen, sich einfeitig als Klavier-, Violin-,
Gesangsfchüler ufw. mit Mufik zu befaffen. Das Erziehungsideal aller un-
ferer Lehranftalten ift auf Virtuofifät eingeteilt, das Streben nach der Be-
herrfchung des Inftruments ift „Hauptfach". Anderfeits führt das immer mehr
zunehmende Vollpfropfen des Lehrplanes mit theoretifchen und anderen
Nebenfächern nur zu einer überlaftung des Schülers, fetjt ihn aber nicht in
Stande, den mufikalifchen Organismus im Ganzen zu erkennen und dar-
zuffellen.
Mit anderen Worten: der theorefifche oder inftrumentale Unterricht (fo wie
das alles heute gehandhabt wird, lauter ifolierte Fächer als Selbftzweck) ver-
mag ftets nur die eine oder die andere Seite des mufikalifchen Gefamt-
komplexes zu beleuchten; erft die gegenfeitige Durchdringung diefer Difzi-
plinen, die Zufammenfaffung der einzelnen Stränge zu einem Bündel führt
zum Ziele, nämlich zur Heranbildung der mufikalifchen Auffaffungskraft und
der Kräftigung des Willens zur künftlerifchen Wahrheit.
Wir fehen, darj der Herausbildung eines einheitlichen mufikalifchen Welt-
bildes als höchftes Ziel der Erziehung vor allem die Zufammenhanglofigkeit
und abfolute Trennung der einzelnen Wiffensgebiete im Wege fteht. Es
wäre auch wohl der Mühe wert feftzuftellen, inwieweit das innerhalb der
einzelnen Fächer Gelehrte heute noch gültig ift, doch ift hierfür im Rahmen
einer kurzen allgemeinen Betrachtung kein Raum.
Was kann nun gefchehen, um das fchädliche Auseinanderfallen der einzelnen
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