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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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Prinzhorn, Hans: Das neue Menschenbild der Psychologen bietet den Erziehern neue Richtpunkte
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https://doi.org/10.11588/diglit.17441#0285

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Nietzfches Menfchenbild heraus. Und es hat einen guten Sinn, auf diefen
Kern des Wunfchbildes vom künftigen Menfchen die Aufmerksamkeit zu
lenken, weil wir beben nach höchft mannigfaltigen Verfuchen, von denen
die wenigften als geglückt gelten dürfen, in die Zeit der Klärung, der Ent-
fcheidung eintreten. Wir tragen wieder Verlangen nach Stetigkeit, Formung,
klarer Geftalf. Wir hoffen, es werde uns vergönnt fein, frei von den
Irrtümmern des 19. Jahrhunderts Prägungen hervorzubringen, die tradifions-
fähig find. Dies ift der Antrieb, der zutiefft hinter [ämtlichen neueren Be-
mühungen um die Seele der Jugend fich auswirkt, aber allzuoft überdeckt
wird von Formeln der religiöfen, politifchen, kulturellen „Richtungen", die
bei uns wegen der Richtungslofigkeit unferer Gefamt-Entwicklung eine fo viel
impofantere Rolle im rafchen Wechfel der Tagesmoden Ipielen, als in alten
(und vielfach überalteten) Kulturländern.

Auf die Dauer können wir uns doch nicht verhehlen, dafj in den parteiifch
formulierten Zielen, die man für die Erziehung aufftellt, hinter den For-
derungen, die das Partei-Programm vorfchreibt, einige gemeinfame Züge
des Menfchenbildes aufleuchten, das den Erziehern bewufjf oder unbewufjt
als erftrebenswert gilt, gerade weil es fich von dem früheren in wichtigen
Stücken unterfcheidet.

Solche gemeinfamen Züge — nebft einigen Formeln von Nietzfche dafür —
find etwa folgende: der wirkliche Menfch ift diesfeitig, er hängt „gleich
Goethe mit immer größerer Luft und Herzlichkeit an den Dingen diefer
Welt", er ift „der Erde treu". „Vom Leib ausgehen und ihn als Leitfaden be-
nutzen", da er „der befte Ratgeber" und „weifer als unfer Geift" ift — dies
alles ift uns wieder natürlich geworden, ja wir haben die „Leibeskultur" fo-
gar ein wenig übertrieben, bis fie fich, den Idealen des vorigen Jahrhun-
derts entfprechend, als Wiffenfchaft mit Hochfchul-Charakter ausweifen konnte.
Welch ein Gegenfarj zwifchen diefer refoluten Anerkennung der leib-fee-
lifchen Wirklichkeit und jenen Idealbildern vom Menfchen, die auf geiftige
Prinzipien begründet wurden und fich dann gleichfam rückläufig mit der
fatalen Tatfache der Leiblichkeit mühfam verftändigen mufjten: den theo-
logifch, moralifch, idealiftifch, mechaniffifch, kurzum aus zweifer Hand kon-
fluierten „Ideen vom Menfchen". „Was den Menfchen rechtfertigt, ift feine
Realität. Um wieviel mehr wert ift der wirkliche Menfch, verglichen mit einem
blofj gewünfchten, erträumten, erftunkenen und erlogenen Menfchen?"
Auf fich felbft kann fich aber der Menfch nur dann ftellen, wenn er das Ver-
trauen zum „bewufjtlos fchaffenden Leben" zurückgewonnen hat als der
einzig-verlärjlichen und unerbittlichen Gefetjesmacht, die höher ift als alle
Vernunft der Menfchen. Vor ihr fich zu beugen heifjt, den Mut zu felbftherr-
licher Entfcheidung finden — nämlich in gebührender Achtung vor den
Grenzen, die jedem Einzelnen durch Charakter und Schickfal gefetjt find.
Weirj man einmal, dafj dies der Richtpunkt aller lebendigen neueren Enf-

Die Schriftleitung verweift hier nachdrücklich
auf das (oeben erfchienene Buch, Hans
Prinzhorn, „Nietzfche und das 20. Jahrhun-
dert". (Verlag Niels Kampmann, Heidel-
berg).

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