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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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Drevermann, Friedrich Ernst: Strömungen in der Universität
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https://doi.org/10.11588/diglit.17441#0287

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I. Das Material befteht aus Profefforen und Studenten. Ich will über Pro-
fefforen nichts lagen, weil ein Blick in den Spiegel unangenehm ift — viel-
leicht äufjert lieh einmal ein junger Kommilitone?

Studenten: die beffen von fünf Jahrgängen liegen in der Erde; was übrig
blieb, ift nach dem Examen ins Leben gegangen. Auf fie, wie auf alle
Menfchen, vor allem auf die jefjt ftudierende Jugend haben Krieg, Inflation,
Staatsumwälzung trennend gewirkt. Eigenes Leid wird ftark empfunden und
daher für wichtiger gehalten, als Not eines ganzen Volkes; ebenfo gilt den
Meiften die eigene Anficht für bedeutungsvoll, die anders Denkender für
minderwertig. Die Jugend, die in folchem Chaos aufwächft, hört und lieft über
Streitfragen mehr als über das Gemeinfame, im Elternhaus, auf der Schule,
im Leben — fo kommen lauter Einzelindividuen zur Hochfchule. Der Zudrang
fteigt ununterbrochen und das Material wird nicht beffer. Denn das Abitu-
rientenexamen berechtigt auch bei denkbar fchlechteffer Abwicklung zum
Studium. Da fich aber Induftrie, Handel, mittlere Beamtenlaufbahn ufw. aus
dem Überangebot die Beften ausfuchen, da die Univerfität fogar mit Stipen-
dien etc. alle möglichen Erleichterungen fchafft, fo kommt ftatt der erfehnten
Schar zukünftiger Führer, denen das Wiffen innerliches Bedürfnis ift, eine
Maffe, deren höchfter Ehrgeiz der bequeme Weg zur Penfionsberechtigung
darfteilt. Ich weif}, darj es auch heute prachtvolle Menfchen unter den Stu-
denten gibt, die mit ganzer Seele, mit heilem Bemühen ihren Weg fuchen —
die Mehrzahl ift anders, nicht fchuldhaff, vielmehr zwangsläufig unter dem
Druck der Aufjenwelt fo geworden. Die beffen Studenten fühlen das und
ringen nach Wandel.

II. Die Fehler: 1) Der gegenwärtige Lehrbetrieb unterftreicht die Trennung
der Berufe und damit die überfchärjung des Fachwiffens und die Klaffen-
trennung, die fich in das fpätere Leben einfrifjt und jeder Einheit entgegen
arbeitet.

2) Das Korporationswefen trennt, nicht bei guten Elementen, fondern bei der
Mehrzahl. Es fördert Überheblichkeiten, die von ähnlich gerichteten Altherren-
bünden unterftrichen werden.

3) Politifche Parteien fuchen Einflufj und erziehen fich Nachwuchs; fie trennen
nach Parteigrundfärjen und haben leichtes Spiel, da ihnen in Elternhaus und
Schule vorgearbeitet worden ift und die Tagespreffe ihnen hilft. Reife hoch-
ftehende Menfchen mögen politifch denken können; für 99% befteht die
Gefahr, dafj fie nur noch politifch nachfehwärjen lernen, was die Zeitung oder
der Parteifekretär vorkaut.

An der undurchdringlichen fozialen Schichtung unleres Volkes tragen die
Univerfitäten fchwere Mitverantwortung.

4) Das gute weiche Herz der Prüfungskommiffionen findet immer wieder einen
Grund zum Mitleid mit dem Kandidaten. Mitleid aber ift falfch.

III. Die Abhilfe. Die Univerfität ift ein Kind ihrer Zeit und Umwelt. Wenn

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