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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 2.1928

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Wichert, Fritz: Die neue Baukunst als Erzieher
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https://doi.org/10.11588/diglit.17441#0322

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zieher. Bei der Jugend natürlich aus mancherlei Gründen mit befonderer
Ausficht auf Erfolg.

Es ift hier nicht feftzuftellen, ob die neue Erziehung im Hinblick auf Ziele,
Weltanfchauung und Methode als Syftem fchon die gleiche Gefchloffenheit
und Einheitlichkeit erlangt hat wie die neue Baukunft. Wenn ja, fo mühten
neue Erziehung und neue Baukunft einander überall berühren und entgegen-
kommen.

Mehr noch: Die neue Erziehlehre — wo immer fie Reife gewinnt — kann fich
eigentlich erft im Schulhaus der neuen Baukunft voll entfalten. Es ift fogar
denkbar, dafj die Baukunft die Pädagogik ftark mitentwickeln hilft — und um-
gekehrt. Wer beide in ihrem gegenwärtigen Sein und Werden bejahen zu
können glaubt, wird es für den gröhten Fehler halten, wenn heute noch
Schulen entftehen, in denen eine andere als die neue Baugefinnung fich
ausfpricht und auf Anfchauung und Gemüt der Kinder einwirkt.
Was lehrt nun neue Baukunft? Wohin will fie die Jugend führen?
Zum erften: Sie ift elementar. Sie geht darauf aus, die Geftaltungselemente:
Linie, Fläche, Körperlichkeit (Raum) und Farbe in möglichft einfacher, bis zum
äuherften geklärter Weife zu verwenden. Sie bekundet damit einen ent-
fchiedenen Willen zu neuer Grundlage, zum Anfänglichen. So lehrt fie, dafj
es in Zuftänden der Verwirrung auf alle Fälle geboten ift, das Elementare
zum Ausgang zu wählen.

Gleichzeitig mit der einfachen Verwendung der Geftaltungselemente treten
Eigenfchaften hervor, deren Bedeutung für die Erziehung ohne weiteres ein-
leuchtet: z. B. Schlichtheit, Einfachheit, Klarheit, überfehbarkeit, Beftimmtheit,
Strenge. Dazu andere, deren fittliche Forderung vielleicht weniger deutlich
ift wie Sauberkeit und Hygiene; fie begünftigt das Ordnunghalten, ift „auf-
geräumt" im doppelten Sinn.

Die neue Baukunft — obwohl durchaus fähig, überfchwang zu geftalten —
will Sachlichkeit. Um wieder reine, echte Form zu finden, hält fie fich an das
Notwendige und fchraubt ihre Ausdrucksmittel bewufjt bis zur Herbheit zu-
rück. Welcher Pädagoge wüfjte nicht, wieviel mit der Anwendung diefer
Regel auf erzieherifchem Gebiet zu gewinnen ift.

Die neue Baukunft lehrt, mit einem Mindeffmafj von äußerlichem (materiellem)
Aufwand ein Höchftmafj von Möglichkeifen wahrer Lebensbereicherung und
Lebensvertiefung zu gewinnen. So fefjt fie zum Beifpiel ein ganz beftimmtes
Verhältnis der Menfchen zur Natur, zum körperlichen Leben voraus. Diefes
Verhältnis ift fo, dafj wir froh fein könnten, wenn es überall, zu Haufe und in
den Schulen, unfere Kindererziehung beftimmte. Es ift eine einzige Verehrung
von Licht, Luft, Waffer und Erde. Wo immer die neue Baukunft kann, fucht
fie die Kräfte diefer Vier dem Menfchen zuzuführen und zu erfchliefjen: in
mächtigen Fenfterflächen, in der Anbringung von waffertechnifchen Errungen-
fchaften und in der Ermöglichung von Gartenarbeit.

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