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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 3.1929

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Wichert, Fritz: Polarität als Grundsatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.17291#0150

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Wir Itellen einander gegenüber und [uchen zu vereinigen: freie Kunft und angewandte
Kunft. Wir glauben nicht, dah die Fähigkeit des Menfchen, in freier Darfteilung neue
idealifche Wefen und Welten zu geftalten, für immer erlofchen ift oder je ihre Bedeu-
tung verlieren kann. Wir find fogar der Anlicht, daf} nach wie vor auf diefer Seite des
künftlerifchen Wirkens die wichtigften Entfcheidungen für die Stilbildung fallen. Aber
ein Formfuchen und Formfinden mit der Bindung an praktifche Zwecke, an Material,
Technik und wirtfchaftliches Leben wie in der angewandten Kunft gilt uns deshalb doch
nicht als ein Geltalten mit geringerer Würde. Wir beachten ferner als Zweiheit für die er-
zieherifche Arbeit in allen unferen Abteilungen das Erlebnis der organifchen Naturer-
fcheinung und ihr gegenüber die mathematifche, konftruierbare Grundform. Wir willen,
wie wichtig es ift, dafj junge bildnerifche Kräfte lernen, aus lieh, aus der Vorftellung, aus
ihrem eigenen Körpergefühl die linearen, körperlichen und farbigen Rhythmen zu fin-
den, die die optifche Welt umzugeftalten oder zu ordnen beftimmt find, aber nicht
weniger wichtig ift es uns, dafj (ie nie aufhören, die Natur als bauende Kraft, als Ge-
heimnis der Enftehung, als Vorbild der Stileinheit und als phylikalilche, optifche und
dynamifche Erfahrungsquelle zu erleben. Wir berückfichtigen auf dem Gebiet der an-
gewandten Kunft fchliehlich einen weiteren Gegenfatj und verfuchen ihn fruchtbar zu
machen: wir lehren Gegenftände als einmalige, unwiederholbare Schöpfungen hand-
werklichen Ingeniums hervorzubringen und legen doch auch wieder alles darauf an, daf)
Entwürfe und Modelle entftehen, die dem Sinn und Wefen der mafchinellen Erzeugung
Genüge tun.

Genie und Talent! Originalität läht fich nicht lehren: man hat fie oder

hat fie nicht. Aber man kann lie in ihrer Entfaltung fördern und zum mindeften (chütjen.
Die Arbeit einer Schule ift vor allem auf das [.ehrbare angewiefen. Viel lehrbares
Können ift unferer Zeit verloren gegangen. Wenn wir wieder zu größter Leiftung ge-
langen wollen, fo mufj auf unendlich vielen Gebieten — befonders auch auf dem der
freien und angewandten Kunft das preisgegebene Können wieder gewonnen werden.
So (cheuen wir uns nicht, akademifch zu fein oder als akademifch zu gelten. Es gibt ein
Können, einen Vorrat von Regeln, einen Beftand von Erfahrungsgrundfätjen, ohne
deren Beachtung wefentliche künftlerifche Leiftung nicht erreicht werden kann. Auch die
gelegentliche Abkehr des Genies von diefen Vorausfefyungen ändert nichts an der Tat-
fache, dafj felbft im Kunftwerk höchfterArt ein Kern übernommener Werte und lehrbarer
Eigenfchaften fteckt, die man im beften Sinne als akademifch bezeichnen könnte.
Es wäre eine nütjliche Arbeit, an einem Beifpiel wie etwa Rembrandt oder Beethoven
zu zeigen, wie die Gröhe der Kunft mitbedingt wird durch einen gewiffen ererbten
oder erworbenen Beftand an Technik und Geftaltungsregeln, zu zeigen wie viel Dichte,
Fettigkeit und Nachhaltigkeit der Wirkung gerade von diefem nicht geniemäfjigen Fak-
tor der Entftehung abhängt. Vielleicht aber hat keine Zeit Talentarbeit und Können als
Grundlage fo nötig wie die unfrige.

Als die Neugeftaltung der Frankfurter Schule vor fechs Jahren befchloffen wurde, war
aufyer den Klaffen für Malerei, Bildhauerei, Raumkunft und Grafik nichts mehr vorhan-
den. Nicht eine einzige Werkftätte. Sämtliche Einzelbetriebe, deren Arbeitsproben wir
in diefem Hefte zeigen, wurden neu errichtet, der ganze Lehrkörper bis auf drei Herren
neu berufen. Von einer ausführlichen Darftellung der Methode oder einzelner Teile
unferer Anftalt glaubten wir abfehen zu dürfen, nachdem alles Wefentliche fchon im
vierten Heft des erften Jahrganges diefer Zeitfchrift gefagt worden ift.

Naturftudien aus den beiden Vorklaffen

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