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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 3.1929

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May, Ernst: Die Wohnung für das Existenzminimum
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https://doi.org/10.11588/diglit.17291#0344

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daF; in der Nachkriegszeit die Baukoften gegenüber 1914 meift nicht unerheblich
geftiegen find und gleichzeitig eine Steigerung der Zinsfätje für die Woh-
nungsbauhypotheken zu verzeichnen ift. Das folgende Beifpiel charakterifiert
die Problemftellung, wie fie fich unter Zugrundelegung diefer Tatfachen für
Deutfchland ergibt:



Bau-
index

Hypothekenzinfen
durchfchniftlich

Miete einer Arbeiterwohnung
von ca. 50 qm Wohnfläche

1914
1929

100
192,8

4,51 %
11,50 %

30.—
118.—

Bei freier Auswirkung diefer Momente ergäbe fich fomit für die gleiche
Wohnung, die 1914 30 Mark koftete, heute ein Mietpreis von 118 Mark.
Ähnlich, wenn auch nicht ganz fo ungünftig, liegen die Verhältniffe in der
Mehrzahl der zivilifierten Länder.

Zieht man in Betracht, dafj wir in einem Zeitalter der Aufklärung leben,
in dem die breite Maffe der Bevölkerung nicht mehr gewillt ift, fich mit min-
derwertigen Wohnungen abfinden zu laffen, fo kommen wir zu folgender
Formulierung des Problemes:

Es find in hinreich ender Zahl Wohnungen zu bauen, die
bei geffeigerten wo h n u n g s k u I tu r e 11 en Be d ü rf n i f f e n, t r o tj
wefentlich erhöhter Baukoften, Mieten ergeben, die den
Wochenlohn eines Arbeiters nicht überfteigen. Diefe Aufgabe
ift nur unter unendlichen Schwierigkeiten zu löfen, und die Löfung wird
überhaupt nur gelingen, wenn alle finanziellen und fiedlungs-organifato-
rifchen Rationalifierungsmafjnahmen durchgeführt werden, die geeignet find,
den Wohnungsbau zu verbilligen. Schon der Ausgangspunkt der Arbeit
muh, wie die nachfolgenden Leitfäfje zeigen, ein gänzlich anderer fein als
bislang. Anffelle des mehr oder weniger gefühlsmäßigen Taftens mufj das
exakte Rechnen treten, felbftverftändlich ein Rechnen, das auch die pfycho-
logifchen Bedürfniffe des Menfchen hinreichend berückfichtigt. Eine forgfäl-
tige Erforfchung der foziologifchen und biologifchen Grundlagen des
menfchlichen Wohnungsbaues wird zur Folge haben, dafj wir den Menfchen
künftighin nicht mehr eine beliebige Wohnung zur Verfügung ftellen, fondern
dafj wir für beftimmte Menfchengruppen, gefchichtet nach Kopfzahl und
Wirtfchaftskraft, das Wohnungsminimum fixieren und darauf hinarbeiten,
einem jeden feine „Ration" Wohnung in möglichft vollkommener Weife zu
befchaffen. Bauwiffenfchaft und Hygiene werden fich mit der Pfychologie
verbinden müffen, um die Wohnung zu fchaffen, die technifch vollendet und
dabei doch menfchlich geftaltet ift. Mit größter Aufmerkfamkeit wird der
Wohnungspolitiker die Barometer der Volksgefundheit beobachten müffen
und aus ihrer Regiftrierung feine Konfequenzen ziehen.

WIR SPRECHEN FAST IMMER NUR VON DEN
WOHNVERHÄLTNISSEN DER GROSSTADTE.
WIE SIEHT ES ABER AUF DEM LANDE AUS?

Der Regierungsrat im preurjifchen Staats-
ministerium Harteck fchreibt im „Tagebuch"
vom 23. XI. 29: „Von 1921 bis April 1929
konnten aus den Mitteln der wertfchaffen-
den Erwerbslolenfürforge nur rund 40 000
Landarbeiterwohnungen errichtet
werden, wovon 21 460 Werkwohnungen
und nur 18410 Eigenheime lind .... Eine
Erhebung über die 727 Werkwohnungen
in 23 Gutsbezirken des brandenburgilchen
Kreifes Angermünde ergab, dafj 133 aus
einer einzigen Stube, 419 aus Stube und
Küche und 175 aus zwei Stuben und Küche
befanden. Einzelheiten: Auf Gut W. Ichla-
fen in einem Raum 8 Perfonen, der De-
putant, feine Frau, feine Mutter, feine 2
Kinder und drei männliche Hofgänger. Auf
GutZ. fchlafen in einem Raum, in dem
gekocht und gewirffchaftet wird, der Depu-
tant, feine Mutter, 3 Kinder und ein männ-
licher Hofgänger... Auf Gut N.-P. wohnen
in Stube und Küche zehn Perfonen, eben-
foviele in einer Stube auf Gut P.
Die Gutsherrfchaften diefer 23 Gutsbezirke
wohnen: 23 Familien mitinsgefamt 70 Per-
fonen in 314 Räumen macht alfo über 4
Räume pro Kopf. Dazu kommen noch 104
Köpfe Dienftperlonal in 67 Räumen.

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