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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0037

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Grashügel lag, das Haubt auff dem Boden gedruckt und beyde
Händ' im Gras gegraben. Ich glaubete, er sey todt und fassete
ihn an, um mich deß zu gewissem; da richtete er sich auff, und
ich fraget ihn: „Ehrwürdiger Vater, was thuet Ihr auff der
feuchten Erden? Stehet auff, sonst kunnt's Euern Leyb schä-
digen." Dann schüttelte er seyn Haubt und antwortete mir
und sagete: „Mein Sohn, warum hast Du mich gestört in meinem
Gebeth? Lass' mich liegen auff der Erden; ich thu' es wegen
einer Buße, so ich mir aufferlegt, und einer Sünd', so ich einst
hab' begangen. Und wann dieß meinen Leyb schädigen wird,
kann's nur uns'res Herrn und Heylands Wille seyn, und was
der thuet, ist wohlgethanl" — „Amen!' sagete ich, und fragete
ihn teilnehmend, welch' große Sünd' er begangen; und weil
das Alter, ob es gleich fromm und ernst ist, immer 's Reden
liebt, und weil unser Herz sich beruhiget, wenn wir einem An-
dern unsre Gebresten mittheilen, erzählete er mir dieß:
„Mein Sohn, ich bin nicht immer so fromm gewesen, wie
jezt. Es gab eyne Zeit, da ich Krieger war im Heere des Wallen-
sfeiners. Das ist die greulichste Zeit meines Lebens, und ich
denk an sie nur mit Reu' und Kummer. Ich war der größeste
Rauffbold des Heeres und glaubete nicht an unsren Herrgott
noch an Jesum Christum und an die reine Jungfrauen Mariam.
Ja, meine Verderbtheit war so groß, daß ich selbsten den f f t
Teuffel verleugnete und nicht an die Höll' glaubete.
An eynem Abend, g'rade heut' vor 62 Jahren, zween Tage
vor der Schlacht zu Lützen, saß ich mit Anderen bey eym Ge-
lag neben diesem Kirchhoff. Wir hatten den gantzen Tag Erden-
wälle gebauet, so daß wir viele Gerippe auffgedecket hatten,
welche hier begraben waren. Und Manchem, so nicht so ver-
stocket war, wie ich, grausete, so nahe in Nacht bey todten
Leichnahmen zu seyn. Ich aber prahlete und sagete, ich thät'
mich nicht fürchten, wann fff Satanas selbsten kummen thät.
Da wollten die Andern mich beschämen und frageten, ob ich
genug Kurasche hätte, allein in Mitternacht einen Todtenkopf
zu holen aus eynem großen Grab, so am End' des Kirchhoffes
war und darinnen mehr denn 20 Gerippe lagen. Ich sagete:
„Ich wiH's fhun!" und wettete mit Eynem, so eyn Fahnenträger
war, und versprach, baß Allen Bier zu zahlen, wann um 12
Uhr und eyn halb der Todtenkopf nicht auf dem Tisch stünde.
Als darauff nahe um Mitternacht war, schnallete ich meinen
langen Stoßdegen um und ging von dannen, während die Än-
dern weyter tranken und lüderliche Lieder sungen.
Ich ließ die Leyter, so ich mitgenommen hatte, in das
Grab hinunter und wartete, bis in der Stadt Mitternacht schlug.
Es war so dichter Nebel, daß ich nicht zween Schritte sehen
kunnt. Also stund ich lang unbeweglich an eynen Baum ge-
lehnet, und so still war's rings umher, daß mir fast Angst
ward und ich froh war, als Mitternacht zu schlagen begann.
 
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