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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0038

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Darauf! stieg ich mit der Leyter in das Grab und suchete lang
in dem Kofh und den Knochen herum, fand aber keinen Todfen-
kopf, sondern nur Rippen und sonstige Gebeine. Und plötzlich
stoßeteichanwasundichfielundsteckete die Hand aus und le-
gete sie gerade auff einen Todtenkopf. Deß war ich froh; ich
steckete die Finger in seine Augenhöhlen und fassete die Leyter;
ich steigete an ihr auff und hatte schon einen Fuß auff der
Erden — da fühlete ich, wie es unten an der Leiter rüttelte
und rufete: „Schurkl Schurkl Gib mir meinen Kopfl" Mich
überliefs eiskalt, doch die Angst, das Bier zu zahlen, war
größer denn die Furcht des Gespenstes, und ich wollte den
andren Fuß auch auff die Erden setzen; da hub es an, noch
stärker zu rütteln, daß ich fast herunter fiel, und die greuliche
Stimme brüllete: „Schurkl Mein* Kopfl Mein* Kopfl Gib mir
meinen Kopf! Ich will meinen Kopf haben!" Da verdrängefe
meine Angst ein großer Zorn. „Was!" sagete ich zu mir Selb-
sten, „soll mich ein elend Geripp zwingen, 12 Lanzknechten
Bier zu zahlen? Da muß ich wenigstens 12 Faß zahlen!" Und
in der Wuth schwang ich den Todtenkopf und rufete: „Da
hast du deinen Kopfl" und werfete ihn mit aller Kraft hinunter.
Unten hörete ich's krachen, wie wann Knochen gespalten wer-
werden, und ein so schrecklicher Schrey kam aus der Tiefe,
daß mir alle Haar zu Berg stunden. Und mich fassete eine
Furcht, daß ich wie der Wind über die Gräber lief und nicht
anhielt, ehe ich bei den Andern war. Die lacheten über mich,
doch als sie mein bleich Gesicht gesehen hatten und hörten,
was mir geschehen war, wurden sie stiller. Aber der Fahnen-
träger war verschwunden, und wir glaubeten, er habe gescheut,
die Wett* zu zahlen und sey fortgegangen. — Am nächsten
Tag fanden wir ihn im Grab, todt hingesfreckef mit gespalte-
nem Schädel; neben ihm lag ein Totenkopf."
Der alte Mann that innehalfen in seiner Red' und bedeckefe
mit der Hand seine Augen. Und als ich unbeweglich neben
ihm saß und mit Grausen überdenkefe, was er mir erzählet
hafte, hub er wieder an: „Ich sah meine Sünd' ein und verließ
den Wallenstein und ward ein Mönch. Das ganze Jahr knie'
ich in meyner Zell' und biff für meyn Heyl und des Fahnen-
trägers, so ich ermordet. Nur e y n Mal im Jahr verlaß ich
das Kloster, am vierten Tag Novembris, da ich die That ge-
fhan, und komm' an die Stell', wo das Grab stund und fhue
Buße den ganzen Tag und die Nacht. Schon 61 Jahre sind's,
daß ich's thue, und noch immer hat es unserem Herrn Jesu
Christo nicht gefallen, mich von der Qual zu erlösen."
Darauff wollte ich ihm antworten, um ihn zu trösten; er
aber wendete sich weg und winkefe mir mit der Hand, ich
solle gehen. Und ich erhub mich und verbeugefe mich still vor
ihm und ging fürbaß. Und als ich am End' des Kirchhoffs zu-
 
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