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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0258

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231

Am leidenschaftlichsten sammelte er die dramatische Lifte
ratur Deutschlands, die er möglichst vollständig zu vereinigen
suchte. Der Anlaß dazu war, wie so oft bei solchen Special-
sammlungen, von außen gekommen. „Im Jahre 1740", erzählt
er, „kam ein französisches Buch heraus, darinnen uns Deut-
schen die Liebe und Kenntniß der Schaubühne mit sehr stolzen
und verächtlichen Worten abgesprochen ward. Da ich kein
Freund von Streitigkeiten bin, und gleichwohl die Ehre der
Deutschen gegen solche bittere Angriffe vertheidigen wollte:
so dachte ich: Der beste Weg unsern Widersacher zu demüthi-
gen, wäre, wenn man ihm, als einem Ausländer, dem der Reich-
thum unsrer Schaubühne unmöglich bekannt seyn könnte, den-
jenigen großen Vorrath von Schauspielen vor Augen legen
möchte, den Deutschland seit zweyen und mehr Jahrhunderten
hervorgebracht. Ich entwarf also ein kleines Verzeichniss von
dramatischen Stücken, die ich selbst besass, und die mir zuerst
in die Hände fielen; und liess selbiges dem II. Bande der deut-
schen Schaubühne, die ich in eben dem 1740sten Jahre ans
Licht stellete, Vordrucken. Doch das war nur ein kleiner An-
fang: denn da ich einmal auf die dramatischen Gedichte unsrer
Landsleute aufmerksam geworden war; so fand ich denn fast
täglich mehr: und ich konnte also bey dem III. und IV. Bande
noch stärkere Verzeichnisse deutscher Schauspiele mittheilen.
. . . Allein ich gieng noch weiter. Ich war nicht zufrieden, daß
ich die Titel unzählicher Schauspiele kennen lernete: ich fing
auch an die Stücke selbst zu kaufen und zu sammlen. In
allen hiesigen und auswärtigen Büchersteigerungen, bey alten
Bücherkrämern, und selbst bey andern Liebhabern, strebte
ich nach allem, was ein dramatisches Stück heißen konnte.
Manches bekam ich anfänglich ziemlich wohlfeil; allmälich
aber ward auch bey andern die Liebhaberey rege, und daher
mußte ich viele Stücke ziemlich theuer bezahlen. Doch tröste-
ten mich dabey einige werthe Freunde, die mir aus ihrem
Büchervorrathe alles das freygebig überließen, was einer deut-
schen Komödie oder einer Tragödie ähnlich sah. . . . Dergestalt
bin ich nun seit 15 oder 16 Jahren zu einer Sammlung von deut-
schen Schauspielen gekommen, die sich bis auf die 1200 Stück
erstrecket: und die schwerlich anderswo eben so stark und
zahlreich beysammen anzutreffen seyn mag"/)
Diese Sammlung wurde die Quelle, aus der Gottsched den
größten Theil des Stoffes zu seinem Nöthigen Vorrathe zur
Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst schöpfte,
„ein bisher unübertroffenes Buch"/) dessen Werth Lessing
merkwürdiger Weise nicht erkannt hat und das trotz seiner
0 Nöthiger Vorrath zur Gesch. der deutschen Dramat. Dichtkunst 1757,
Vorrede.
2) Goedeke, Grundriß d. D. Dichtung 1886. Bd. H. S. 551. — Waniek, Gott-
sched. 1897. S, 652.
 
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