aber das verbindliche Lächeln erstarrte, und tief in mir schlug, ein auf gescheuchter
Vogel, die Angst, mit scharfem Schnabel gegen das Gitter der Rippen.
Denn meine Worte fielen nieder, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Die Beiden mir
gegenüber blieben unbeweglich. Der Eine sah mit unendlich gelangweiltem Ge-
sicht zum Fenster hinaus, als hätte nur eine Fliege gesummt im Wagen; der
Zweite gähnte gerade, und seine wässrigen Augen blieben für eine Sekunde in
meinem Gesichte haften, ausdrucklos, ohne mich zu sehen, gloßendes Glas, nur
matt durchleuchtet von der dämmernden Frage: „Weib Gott, um wieviel Uhr idr
heute wieder ins Bett komme?“
Am fürchterlichsten aber war der Häuptling mit der durchwehten Krawatte auf
dem Siße neben mir! Er nickte. Nicht zustimmend, nur geduldig-nachsichtig, wie
man ein Kind sich sträuben läßt, bis zum entsdieidenden Moment, im ruhigen
Bewußtsein der eigenen Überlegenheit. Und dieses Nicken rasselte nieder wie ein
eiserner Vorhang, lockte kalten Schweiß aus meinen Poren, lehrte mich begreifen,
daß ich keinen ärgeren Feind hatte in der Situation, in welche ich geraten war, als
eben meine Unschuld!
Fühlte ich das schon während der stummen Wagenfahrt, so wurde es mir während
des Verhöres, das ich nachher über mich ergehen lassen mußte, erst recht unerbitt-
lich klar, daß ich nur einen einzigen Fürsprecher hatte, der mich Schüßen, mir einiges
Wohlwollen erringen konnte, nämlich: meine vermeintliche Schuld! Nur weil sie
mich für schuldig hielten, beschäftigten sich diese Menschen mit mir; mich zu
überführen, war ihre Aufgabe, Jeder Hinweis auf meine Schuldlosigkeit war ein
Knüppel, den ich ihnen zwischen die Füße warf. Sie jagten auf mein „Ja“, nicht
um Zweifel zu zerstreuen! Nur zum Richtfest brauchten sie mich, den Kranz sollte
ich auf den Giebel des Hauses sehen, das sie — stolz auf sein rasches Wadisen
— voller Schaffensfreude erriditef hatten. Sie verteidigten ihr Werk gegen meine
Versuche es zu demolieren nicht weniger leidenschaftlidr, als ich meine Unschuld!
Sympathisch konnte ich ihnen nur werden, wenn ich gestand: solange ich leugnete,
war ich ihr Feind.
Trostlos war dieses Ringen, dieses Sichvergeuden vor Zuhörern, deren Antliß starr
blieb, als bewegte ich nur die Lippen zu Worten ohne Klang. Nur wenn mir ab
und zu eine Antwort gelang, die kunstvoll geknüpfte Schlinge einer Frage sich
lockerte, dann büßte Haß mir entgegen, und ich schämte mich fast, diesen müden
Männern ihren Erfolg streitig zu machen! . . .
Konnte ich denn Sieger bleiben? Wo waren meine Waffen? Ich wußte mich un-
schuldig, genau wie die anderen, jenseits des Tisches, mich schuldig wußten. Aber
jene hatten seit Wochen schon mich umlauert, vor ihnen lag sorgfältig gesammelt
alles, was ich getan und gesprochen hatte; sie kämpften mit Aktenbündeln gegen
mein Gedächtnis, und jede Vergeßlichkeit, jeder unbefangen-selbstverständliche
Sdiritt füllte sich, wie ein Gefäß, mit Verdachfsgründen.
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Vogel, die Angst, mit scharfem Schnabel gegen das Gitter der Rippen.
Denn meine Worte fielen nieder, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Die Beiden mir
gegenüber blieben unbeweglich. Der Eine sah mit unendlich gelangweiltem Ge-
sicht zum Fenster hinaus, als hätte nur eine Fliege gesummt im Wagen; der
Zweite gähnte gerade, und seine wässrigen Augen blieben für eine Sekunde in
meinem Gesichte haften, ausdrucklos, ohne mich zu sehen, gloßendes Glas, nur
matt durchleuchtet von der dämmernden Frage: „Weib Gott, um wieviel Uhr idr
heute wieder ins Bett komme?“
Am fürchterlichsten aber war der Häuptling mit der durchwehten Krawatte auf
dem Siße neben mir! Er nickte. Nicht zustimmend, nur geduldig-nachsichtig, wie
man ein Kind sich sträuben läßt, bis zum entsdieidenden Moment, im ruhigen
Bewußtsein der eigenen Überlegenheit. Und dieses Nicken rasselte nieder wie ein
eiserner Vorhang, lockte kalten Schweiß aus meinen Poren, lehrte mich begreifen,
daß ich keinen ärgeren Feind hatte in der Situation, in welche ich geraten war, als
eben meine Unschuld!
Fühlte ich das schon während der stummen Wagenfahrt, so wurde es mir während
des Verhöres, das ich nachher über mich ergehen lassen mußte, erst recht unerbitt-
lich klar, daß ich nur einen einzigen Fürsprecher hatte, der mich Schüßen, mir einiges
Wohlwollen erringen konnte, nämlich: meine vermeintliche Schuld! Nur weil sie
mich für schuldig hielten, beschäftigten sich diese Menschen mit mir; mich zu
überführen, war ihre Aufgabe, Jeder Hinweis auf meine Schuldlosigkeit war ein
Knüppel, den ich ihnen zwischen die Füße warf. Sie jagten auf mein „Ja“, nicht
um Zweifel zu zerstreuen! Nur zum Richtfest brauchten sie mich, den Kranz sollte
ich auf den Giebel des Hauses sehen, das sie — stolz auf sein rasches Wadisen
— voller Schaffensfreude erriditef hatten. Sie verteidigten ihr Werk gegen meine
Versuche es zu demolieren nicht weniger leidenschaftlidr, als ich meine Unschuld!
Sympathisch konnte ich ihnen nur werden, wenn ich gestand: solange ich leugnete,
war ich ihr Feind.
Trostlos war dieses Ringen, dieses Sichvergeuden vor Zuhörern, deren Antliß starr
blieb, als bewegte ich nur die Lippen zu Worten ohne Klang. Nur wenn mir ab
und zu eine Antwort gelang, die kunstvoll geknüpfte Schlinge einer Frage sich
lockerte, dann büßte Haß mir entgegen, und ich schämte mich fast, diesen müden
Männern ihren Erfolg streitig zu machen! . . .
Konnte ich denn Sieger bleiben? Wo waren meine Waffen? Ich wußte mich un-
schuldig, genau wie die anderen, jenseits des Tisches, mich schuldig wußten. Aber
jene hatten seit Wochen schon mich umlauert, vor ihnen lag sorgfältig gesammelt
alles, was ich getan und gesprochen hatte; sie kämpften mit Aktenbündeln gegen
mein Gedächtnis, und jede Vergeßlichkeit, jeder unbefangen-selbstverständliche
Sdiritt füllte sich, wie ein Gefäß, mit Verdachfsgründen.
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