der Gefängnismauer^ war mit der Sturzflut hohler Worte von den Freunden ein-
geschmuggelt worden. Mir blühte Befreiung von Zukunft und Vergangenheit; ich
hatte nur mehr zu sterben; . ♦ . und legte mich hin, um nichts mehr zu denken, um
zu schlafen; bis der allerletzte Schritt mich auch vom Schlafe befreite.
Und ich schlief.
Ich sah wieder in der Mitte des Lebens; unter einer hochschwebenden Kuppel,
umdrängt vom Duft gepflegter Frauenleiber. Aus einer Versenkung vor mir
glimmten hundert meergrüne Augen, das Summen und Singen der Geigen schwoll
zur Decke. Eine Stimme schwang sich hoch, schwebte mit ausgebreiteten Flügeln,
wie eine Möwe, sang und schluchzte, und die ganze Sühc des Daseins durchrieselte
tausend Seelen im Zuschauerraum, während oben auf der Bühne der Verurteilte
von seiner Tosca Abschied nahm.
„Und liebte niemals noch so sehr das Leben, so sehr das Leben !“ — klagte der
Sänger, reckte sich auf gegen den bleichen Morgenhimmel, als wollte er sich mit
den Fingernägeln einkrallen in den erwachenden Tag, die Sonne anhalten, daf>
sie seinen Tod nicht auf die Erde sdreine. Ich aber sab unten, gebettet in Sicherheit,
angenehm umgaukelt von den Schauern des Spiels, dadrte erdämmernd schon an
das Gedränge in der Garderobe, die Heimfahrt, an den Ernst der Wirklichkeit,
die sich mir entgegenschob.
Da, mit einem Schlag, wechselte der Schauplatz! Ich wurde hinaufgerissen in das
Spiel auf der Bühne, die Soldaten des Exekutionspelotons umstanden mein Lager,
rüttelten mich wach, ich sollte hinaus in den Tod, in das Sterben, das nun die
Wirklichkeit geworden war, und über das Leben, das die Anderen weiterspielten,
sollte der Vorhang fallen.
Ich fand nicht gleidr hinein in den jähen Wechsel,... ich begann zu schluchzen,...
folgte torkelnd den Bewaffneten und beteuerte stumpfsinnig, ohne zu wissen, ohne
zu hören was ich spreche, meine Unschuld. Bis geisterhaft eine schüttere Menschen-
wand aus korrekten, schwarzgekleideten Herren vor mir stand, wie schuhsuchend ver-
krochen hinter das weilte Blatt, dessen Inhalt einer zähneklappernd herunterleierte.
„Sie werden ,nachher' einen heihen Grog trinken,'“ — durchflammte es midi
plöhlich mit rasender Empörung. Eine niegekannte Wut ballte meine Fäuste
gegen diese niederträchtig frostige Sicherheit, gegen dieses „Recht“, das es erlaubte
einen Menschen so vor dem Frühstück hinzuwürgen, und „nachher“ ...
Ich sah den Scharfrichter und seine Knechte mit griffbereiten Pranken meinen
Rücken belauern, mit schwindelnder Schnelligkeit rasten alle meine Kenntnisse
über Hinrichtungen, alles, was ich aus Büchern und Zeitungen über Mordtaten
und ihre „Ahndung“ wuljte, an mir vorbei. Ein Mädchen, mit Worten, die das
Blut süf> durchschwirrfen, aufs Lager gelockt, im Augenblick da sie schenkend sidr
freuen wollte, meuchlings mit dem Messer überfallen, und von dem Gipfel der
Lust ins Erlöschen gestürzt, .... ein Geizhals, über knisternde Scheine gebeugt,
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geschmuggelt worden. Mir blühte Befreiung von Zukunft und Vergangenheit; ich
hatte nur mehr zu sterben; . ♦ . und legte mich hin, um nichts mehr zu denken, um
zu schlafen; bis der allerletzte Schritt mich auch vom Schlafe befreite.
Und ich schlief.
Ich sah wieder in der Mitte des Lebens; unter einer hochschwebenden Kuppel,
umdrängt vom Duft gepflegter Frauenleiber. Aus einer Versenkung vor mir
glimmten hundert meergrüne Augen, das Summen und Singen der Geigen schwoll
zur Decke. Eine Stimme schwang sich hoch, schwebte mit ausgebreiteten Flügeln,
wie eine Möwe, sang und schluchzte, und die ganze Sühc des Daseins durchrieselte
tausend Seelen im Zuschauerraum, während oben auf der Bühne der Verurteilte
von seiner Tosca Abschied nahm.
„Und liebte niemals noch so sehr das Leben, so sehr das Leben !“ — klagte der
Sänger, reckte sich auf gegen den bleichen Morgenhimmel, als wollte er sich mit
den Fingernägeln einkrallen in den erwachenden Tag, die Sonne anhalten, daf>
sie seinen Tod nicht auf die Erde sdreine. Ich aber sab unten, gebettet in Sicherheit,
angenehm umgaukelt von den Schauern des Spiels, dadrte erdämmernd schon an
das Gedränge in der Garderobe, die Heimfahrt, an den Ernst der Wirklichkeit,
die sich mir entgegenschob.
Da, mit einem Schlag, wechselte der Schauplatz! Ich wurde hinaufgerissen in das
Spiel auf der Bühne, die Soldaten des Exekutionspelotons umstanden mein Lager,
rüttelten mich wach, ich sollte hinaus in den Tod, in das Sterben, das nun die
Wirklichkeit geworden war, und über das Leben, das die Anderen weiterspielten,
sollte der Vorhang fallen.
Ich fand nicht gleidr hinein in den jähen Wechsel,... ich begann zu schluchzen,...
folgte torkelnd den Bewaffneten und beteuerte stumpfsinnig, ohne zu wissen, ohne
zu hören was ich spreche, meine Unschuld. Bis geisterhaft eine schüttere Menschen-
wand aus korrekten, schwarzgekleideten Herren vor mir stand, wie schuhsuchend ver-
krochen hinter das weilte Blatt, dessen Inhalt einer zähneklappernd herunterleierte.
„Sie werden ,nachher' einen heihen Grog trinken,'“ — durchflammte es midi
plöhlich mit rasender Empörung. Eine niegekannte Wut ballte meine Fäuste
gegen diese niederträchtig frostige Sicherheit, gegen dieses „Recht“, das es erlaubte
einen Menschen so vor dem Frühstück hinzuwürgen, und „nachher“ ...
Ich sah den Scharfrichter und seine Knechte mit griffbereiten Pranken meinen
Rücken belauern, mit schwindelnder Schnelligkeit rasten alle meine Kenntnisse
über Hinrichtungen, alles, was ich aus Büchern und Zeitungen über Mordtaten
und ihre „Ahndung“ wuljte, an mir vorbei. Ein Mädchen, mit Worten, die das
Blut süf> durchschwirrfen, aufs Lager gelockt, im Augenblick da sie schenkend sidr
freuen wollte, meuchlings mit dem Messer überfallen, und von dem Gipfel der
Lust ins Erlöschen gestürzt, .... ein Geizhals, über knisternde Scheine gebeugt,
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