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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Ludwig, Emil: Geist und Staat bei den Deutschen: (nach einem Vortrag)
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0073

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der Nation sidi zu in deutsdien Krisen, und nie sind in einem Volke so bittere Urteile, so un-
bestechlich kalte Sdrliisse geformt worden, wie sie Deutschland von seinen erlauchten Söhnen
zu hören bekam.
Denn sie erkannten die deutsdie Problematik, alle, von Schiller und Hölderlin bis zu Goethe
und Niebsdie: den Zwiespalt der deutschen Seele, die denken kann und handeln möchte, die
sich platonisch so lange vergräbt, bis das Licht des Tages nicht mehr in den Stollen ihres
Denkwerkes dringt, die immer probt, dem Vorderen nie glaubt, und so, bei unbestechlkh grübelndem
Individualismus, aus einer Zahl kostbarer Persönlichkeiten niemals ein kostbares Ganze schweifen
kann. „Weil nun aber — schrieb Goethe während der Niederlage Preußens an vertraute
Freunde — jeder bedeutende Einzelne Not hat, bis er sich selbst ausbildet . ., so entspringt, da
der Deutsdie nichts Positives anerkennt und in steter Verwandlung begriffen ist, ohne jedodi zum
Schmetterling zu werden, eine soldie Reihe von . . Stufen, dab der treuste Geschichtsschreiber
nicht nachkommen könnte . . Deutschland ist nichts, aber jeder einzelne Deutsche ist viel, und
doch bilden sie sich grade das Umgekehrte ein . . Verpflanzt und zerstreut wie die Juden in
aller Welt mühten die Deutschen werden, um die Masse des Guten, ganz und zum Heile aller
Nationen zu entwickeln, die in ihnen liegt .
Aus solchem tragischen Zwiespalt entwickelt sich ein Grundgesetz des deutsdien Geistes: dann
immer aufzublühen, wenn sein Staat machtlos nadi auben, im Innern verworren mit sidi und den
Andern kämpft; dodi zu welken, wenn der Staat, der ihn schützen sollte, mächtig und einig aufstrebt.
Audi anderwärts wadisen die Kräfte nicht dauernd vom einen in den andern, aber zuweilen
nähern sich ihre Bahnen: dann wird aus dem Zweikampfe von Staat und Geist ein Weltkampf
— und eben jene Schnittpunkte bedeuten die hohen Zeiten der Nation.
II.
In jener allgemeinen Sehnsudit des Deutschen nadi Süden und Osten drückt sidi der Zwiespalt
am allgemeinsten aus: kein andrer Nordländer will seine Heimat so gern und immer wieder um
des fremden, heiteren Südens willen verlassen. Sind nicht die deutsdien Kaiser, als Spitzen
ihres Staates, Symbole solchen Strcbens? Nidit Weltmadits-Wünsche, noch weniger religiöser
Furor trieb diese Franken, Sachsen, Hohenstauffen immer wieder, das Land ihrer Väter und
Söhne auf langen Fahrten-zu verlassen. Vorwände der Seele sind jene Kreuzzüge, sie sind die
Tat gewordene Sehnsudit nadi dem Süden, um in einer helleren, bunteren Welt ein Stück von
ihrer Schwere zu verlieren. Da kann ein solcher urdeutsdier Ritter und Kaiser mit rotem Barte
dennoch als Barba-rossa in die Annalen kommen, und wie er in die Morgenlande reitet, kommt
er, in einer Ecke Kilikiens, plötzlich in einem reihenden Strome um, von dem die Deutsdien nodi
nidit den Namen kannten. Da baut ein Geist wie jener zweite Friedridi — das Genie unter
den deutschen Kaisern, wie der König gleichen Namens unter den preuhisdien Königen —
tausend Meilen von seiner Heimat in Palermo la Fclicc ein phantastisches Reidi des Geistes
und Genusses, der Freiheit und der Mystik auf, und kehrt er zuweilen nach Mainz zurück und
an den Rhein, so lädielt er und blickt sich um — und rettet sidi dodi immer rasdi aufs neue
in die Gärten Siziliens.

III.
Zum ersten Male steht um 1500 der Geist in deutsdien Landen auf gegen den Staat. Audi
hier zeigen die Vorläufer nodi internationales Wesen: in Paris, Italien, der jungen Schweiz haben

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