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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Ludwig, Emil: Geist und Staat bei den Deutschen: (nach einem Vortrag)
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0076

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Ja, wer die Historie dieser Jahrzehnte zum ersten Male hörte, stände staunend vor nie gehörtem
Widerspruch! Während dies deutsche Reidi, dumpf und sdiwer, berstend und stöhnend wider
das Jahrhundert rennt: jept zwischen 1720 und 1830 werden alle großen deutschen Geister wadi,
streben auf, verlöschen: von Klopstock und Lessing über Wieland, Herder und Schiller zu
Goethe, von Gluck und Händel über Haydn zu Mozart, zu Beethoven und Schubert, von Kant
über Schelling zu Hegel.
Fast alle sind Freigeister, bejahen die Revolution in Frankreich, wünschen sie herbei, selbst so
platonische Geister wie Kant und Herder. Doch in Deutschland ist nichts zu erreidien! Einige
gehen ins Ausland, Paris und London nehmen Gluck und Händel auf, andere holen sich Ver-
weise vom Staate wie Kant und Schelling. Während sich die Führer in der klaren Luft des
Geistes verbrüdern, zwingen die Fürsten ihre Völker — freilich noch durch das Medium der
Söldner — einander zu bekämpfen. Während Goethe Voltaire und Diderot preist, Lessing und
Sdiiller Rousseau sidi nähern, zieht der König von Preußen mit dem Herzoge von Weimar und
Eisenadi aus, um Frankreichs vertriebene Könige wieder einzusehen!
Da ist es denn in einer Welt, die am Ende doch von Ideen dauernder als von Mitrailleusen
bestimmt wird, nur logisch, dab diese Fürsten vom ersten Volksheer der Gesdiidite geschlagen
werden. Valmy. Und Goethe tut den groben Ausspruch: „Von hier und heute sdireibt sich
ein neuer Absdinitt der Geschidite, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!“ Begreift
man, was das heijjt? Zugleich ist es ein Beispiel für die dialogisdie Art, mit der Goethe —
so für als gegen die Revolution — seine Zeitwende hörte, begriff, gestaltete.
Mit dem Beginn des nationalen Aufschwunges verstummen die Stimmen der führenden Geister:
Goethe und die Philosophen. Nur ein paar Dichter dritten Ranges treten auf und verschwinden
in der Geschidite der Literatur, bis sie einmal ein neuer Krieg erweckt. Keiner macht Epoche.
Fichte, der kleinste Freund der Weisheit in jener Zeit, wird um seines unerheblichsten Werkes
willen berühmt. Hegel, der seine „Phänomenologie des Geistes“ — symbolisch — während der
Sdiladit bei Jena in seinem dortigen Stübchen beendet hatte, verflacht, als er sich verstaatlicht.
Sdiiller wäre der einzige gewesen — doch auch er verzagte rasdi an Möglidikeit zur Tat in
Deutschland. Mit 18: »In tyrannos« über die Räuber, mit 36 nur noch lächelnd, als der Bürgerbrief
der jungen Republik aus Paris eintrifft. Von Cotta in seinem mächtigen, politisdi-journalistischen
1 alent — neben der Dichterkraft — erkannt, berufen, eine grobe Staatenzeitung zu leiten, ge-
traut er sidi's dennoch nidit: er weib, warum. Im entsdieidenden Stadium ist Schiller, den Pathos,
Ehrgeiz und Zeitsinn zur Tat und zur Madit trieben, statt dessen in Spekulation abgeschwenkt;
er hat Kant gewählt, statt Rousseau.

VII.
Und dodi wirken zugleich die beiden stärksten Exponenten der Staats- und Geistesmadit neben-
einander, verwandt — und können einander nidit finden.
Es ist Fricdridi und Goethe.
Beides Aufklärer, beides Platoniker und Praktiker, der Staatsmann audi Dichter, der Diditer
audi Staatsmann — freilich nicht „Philosoph auf dem Throne“, noch „Kunstgenius von Weimar“.
Wann sah, in der Ahnengalerie der Hohenzollern, ein Kopf dem Friedrichs ähnlich? Wann war
ein Schicksal in diesem Hause seinem verwandt? Wann entwirkte sidi diesem Blute Genius und
Dainion so heftig, so gefährlich? Durdi keine Katastrophe der Jugend, durch kein Wagespiel
der Dreißiger Jahre gereift, ist dieser Fürst nodi um die 40 ein wenig angenehmer, redit welt-
licher, kaum philosophischer, stolzer und audi eitler Herr. Erst die furchtbare Koalition — Folge


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