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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Grohmann, Will: Lasar Segall
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0122

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LASAR SEGALL

WILL GROHMANN

Sämtliche Bilder mit Genehmigung des Wostok-Verlags, G. m. b. H., Dresden-Berlin.

Seit etwa zwei Jahren seht sich neben Kandinsky und Chagall ein dritter
russischer Maler in Deutschland durch, Lasar Segall, von dem seit kurzem
Werke in einigen öffentlichen Galerien und guten Privatsammlungen
hängen, überall, wo er auftauchte, hatte man den Eindruck einer ganz seltenen
persönlichen und eigenwilligen Begabung, die nicht erklärt war durch einen Seiten-
blick auf eine der wenigen festen europäischen Größen, auch nicht durch seine
östliche Geburt. Ohne Tradition lebt keiner. Aber wer sollte bei Fahrten nach-
rechnen, die von Wilna über Berlin, Flolland, Paris bis Rio de Janeiro führten,
von Giotto über Rembrandt bis Picasso und Chagall? Das nirgends als hier
Gesehene lenkt Vermutungen nach seiner russischen Heimat. Und bei manchem
seiner Bilder, die der Kampf auf das Notwendigste beschränkt hat, könnte man
an alte Kirchen bei Nowgorod und Pskow denken, die gewaltigen torsihaften
Bauwerke, denen der Baumeister nichts gönnte als den Rumpf, oder an russische
Fresken jener Zeit. Aber nur in dieser Entfernung findet man Ahnen. Von den
Neuen steht ihm Chagall näher als Kandinsky. Im Grunde ist er beiden fremd.
An Chagall bewundert er den Geruch der rätselhaften schweren Heimat, die
bäuerliche Religiosität; an Kandinsky allenfalls die artistische Farbenberauschfheit.
Seine künstlerische Einstellung tendiert in anderer Richtung, ist stark ethisch
betont, geht auf das Wahre, Notwendige. In dem Programm für eine Arbeifer-
Kunst-Gemeinschaft sdirieb er: „Jeder soll das äußerlich Wahre, das Interessante
überwinden zu Gunsten des Notwendigen, des innerlich Wahren. Interessant ist
der Schein, alles sinnlich Reizende, alles im üblichen Sinne Schöne. Das Gegenteil
wäre das Wahre, Notwendige, Bleibende. Alles technische Raffinement ist ver-
werflich. Es kommt nicht darauf an, in Farbe und Linie technische Hilfsmittel zu
lehren, sondern jeden mit einfachsten, oft angeborenen Mitteln sich aussprechen
zu lassen, nicht Ästhetik zu treiben, sondern zur menschlichen Kunst anzuIeitenV
Segall steht Tolstois Kunstideen nahe, und auch für ihn beginnt die Lebens-
notwendigkeit von Kunstwerken erst dort, -wo sie. den Menschen anrufen, ihm
nachrufen, ihn nicht wieder loslassen. Aber es entsteht kein Konflikt zwischen dem
Ethiker und dem Kunstschaffenden. Alle wahre Kunst ist ihm ethisch und zwar
in doppelter Form: im Willen zur lebten Vollkommenheit und im Gefühl höchster

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