müde, der falschen Talente, die einzelne Seiten ihres Lebens und Charakters grob
gezüchtet haben, um von hier aus die gesamte Problematik des Daseins zu be-
wältigen. Wir sind müde eines Schöpfertums, das nur aus einer bestimmten ab-
gerichteten Geste stammt und dessen höchster Ehrgeiz es ist, diese Geste ge-
staltend zu bewahren. Wir haben genug von bloßer Beschreibung und Analytik,
sowie von tüchtiger Arbeit auf einzelnen abgezirkelten Gebieten. Unsere Sehn-
sucht geht höher: durch geschlossenen menschlichen Gehalt den Gehalt der
Schöpfung zu erreichen; durch allseifiges Leben jeder Seite der Welf gerecht
zu werden. Goethe stellt den einzigartigen Fall dar, daß ganz von innen her, von
keinerlei äußerer Zweckseßung gelenkt, diese Synthese vollzogen wird. Sowohl die
Elemente seines Ichs wie die geistige Überlieferung des 18. Jahrhunderts werden
von ihm zu einer höheren und endgültigen Einheit emporgetrieben. Diese Ent-
wicklung, Grundthema seines Lebens, vollzieht sidi nicht nach einer vorgefaßten
Programmafik, sondern ist natürliche Selbsferziehung, die ganz erst den eigen-
tümlichen Goefheschen Lebensbegriff ermöglichte. Dadurch wachst Goethes
Gestalt zur legendarischen Größe empor, ähnlich wie Michel Angelot Dostojewski,
Nießsche. Doch diese Größe ist nicht verschwommen, nicht von unklarer Un-
persönlichkeif umhüllt, sondern sowohl in der zeitlichen Entwicklung wie in den
gegenständlichen Einzelheiten Helle und Klarheit, Leuchtfeuer für Zeitgenossen
und Erben. Dieser Universalität, diesem synthetischen Leben gegenüber gibt
es keinen größeren Irrtum als jene albern-philisterhafte Auffassung einer Viel-
seitigkeit universalen Bildungswissens, eines Geisteswunders. Nicht der Besiß an
Interessen und Kenntnissen, sondern das Goefheschc Sein, die Goethesche
Natur sind universell. So kommt es, daß er Zeitgenossen verschiedenster geistiger
Prägung ein gleich unvergeßbares Erlebnis war, wo doch sein eigenes Wesen
unverrückbar fest und alles andere als Anschmiegung gegenüber dem Fremden
ist. Carlyle sagte von Goethe: „Während er jedes Herz aus seinem Gleichgewicht
bringt, bleibt seines unverrückbar still.“
Dieser schöpferische Typus, aus dem allein heraus das Goethesche Werk zu verstehen
ist, steht jenseits aller Geister der europäischen Geschichte. Durch und durch
Künsflermensch ist doch seine Einstellung zur Weit nicht die äsfhefisdre und formale,
sondern vielmehr eine wesf-ösfliehe: die Einstellung des Weisen und Künstlers
zugleich. Seine Gestaltung der Welf wird beherrscht immer von diesem leßten
Ziel: ihren Sinn zu erhaschen, jene Einheit, die Kunst, Leben, Menschheit, Ich,
Natur und Gott überwölbt. Deshalb begnügt Goethes Denken sich nicht, das
Wissen über die Erscheinungen und ihres Jenseits zu gewinnen, sondern dieses
Wissen ist ihm nur Mittel, um Beherrscher über Dinge, Natur und Geschichte zu
werden. Nur von dieser Seife her darf man auch Goethes wechselndes Berufsleben
begreifen, die verschiedencnTäfigkeifen als Erzieher, Staatsmann, Naturforscher usw.
Nießsche nennt Goethe den „leßten unpolitischen Deutschen“, und meint damit, daß
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gezüchtet haben, um von hier aus die gesamte Problematik des Daseins zu be-
wältigen. Wir sind müde eines Schöpfertums, das nur aus einer bestimmten ab-
gerichteten Geste stammt und dessen höchster Ehrgeiz es ist, diese Geste ge-
staltend zu bewahren. Wir haben genug von bloßer Beschreibung und Analytik,
sowie von tüchtiger Arbeit auf einzelnen abgezirkelten Gebieten. Unsere Sehn-
sucht geht höher: durch geschlossenen menschlichen Gehalt den Gehalt der
Schöpfung zu erreichen; durch allseifiges Leben jeder Seite der Welf gerecht
zu werden. Goethe stellt den einzigartigen Fall dar, daß ganz von innen her, von
keinerlei äußerer Zweckseßung gelenkt, diese Synthese vollzogen wird. Sowohl die
Elemente seines Ichs wie die geistige Überlieferung des 18. Jahrhunderts werden
von ihm zu einer höheren und endgültigen Einheit emporgetrieben. Diese Ent-
wicklung, Grundthema seines Lebens, vollzieht sidi nicht nach einer vorgefaßten
Programmafik, sondern ist natürliche Selbsferziehung, die ganz erst den eigen-
tümlichen Goefheschen Lebensbegriff ermöglichte. Dadurch wachst Goethes
Gestalt zur legendarischen Größe empor, ähnlich wie Michel Angelot Dostojewski,
Nießsche. Doch diese Größe ist nicht verschwommen, nicht von unklarer Un-
persönlichkeif umhüllt, sondern sowohl in der zeitlichen Entwicklung wie in den
gegenständlichen Einzelheiten Helle und Klarheit, Leuchtfeuer für Zeitgenossen
und Erben. Dieser Universalität, diesem synthetischen Leben gegenüber gibt
es keinen größeren Irrtum als jene albern-philisterhafte Auffassung einer Viel-
seitigkeit universalen Bildungswissens, eines Geisteswunders. Nicht der Besiß an
Interessen und Kenntnissen, sondern das Goefheschc Sein, die Goethesche
Natur sind universell. So kommt es, daß er Zeitgenossen verschiedenster geistiger
Prägung ein gleich unvergeßbares Erlebnis war, wo doch sein eigenes Wesen
unverrückbar fest und alles andere als Anschmiegung gegenüber dem Fremden
ist. Carlyle sagte von Goethe: „Während er jedes Herz aus seinem Gleichgewicht
bringt, bleibt seines unverrückbar still.“
Dieser schöpferische Typus, aus dem allein heraus das Goethesche Werk zu verstehen
ist, steht jenseits aller Geister der europäischen Geschichte. Durch und durch
Künsflermensch ist doch seine Einstellung zur Weit nicht die äsfhefisdre und formale,
sondern vielmehr eine wesf-ösfliehe: die Einstellung des Weisen und Künstlers
zugleich. Seine Gestaltung der Welf wird beherrscht immer von diesem leßten
Ziel: ihren Sinn zu erhaschen, jene Einheit, die Kunst, Leben, Menschheit, Ich,
Natur und Gott überwölbt. Deshalb begnügt Goethes Denken sich nicht, das
Wissen über die Erscheinungen und ihres Jenseits zu gewinnen, sondern dieses
Wissen ist ihm nur Mittel, um Beherrscher über Dinge, Natur und Geschichte zu
werden. Nur von dieser Seife her darf man auch Goethes wechselndes Berufsleben
begreifen, die verschiedencnTäfigkeifen als Erzieher, Staatsmann, Naturforscher usw.
Nießsche nennt Goethe den „leßten unpolitischen Deutschen“, und meint damit, daß
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