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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Simon, James: Busoni
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0177

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unbestimmter Reflex verschwebt. Eine kleine Ausgabe des Werkes (Neues Choral-
vorspiel und Fuge über ein Bachsches Fragment) verfolgt mehr instruktive als
Konzertzwecke: die fragmentarische Fuge wird von Busoni ergänzt — stilgemäß,
doch mit unverhohlener Anwendung neuzeitlicher Harmonik. Auf einem Bachschen
Choralliede »Wie wohl ist mir o Freund der Seelen« beruht der abschließende
Variationensaß der zweiten Violinsonate, die recht eigentlich an der Schwelle der
neuen Konipositionsära steht, nicht zu denken ohne Bachs Orgelchoralvorspiele,
von denen Busoni 10 aufs Klavier übertrug, und doch neue Stimmungswerfe zeugend
mit ihren Zwielichtwirkungen und der Apotheose zuleßt. Die Weise Bachs hegt
er und improvisiert aufs neue darüber, diesmal für zwei Klaviere. Aber auch eigene
Gedanken spinnt er weiter: aus der zweiten Elegie für Klavier alb Italia erblüht
dieTaranfelle des großen Konzerts; ein zeremonielles Menueffmofiv, aus der Sonatine
ad usüm infaniis uns schon vertraut, taucht im Arlecchino wieder auf, Oder er
schreibt ein indianisches Tagebuch, in welchem er auch Melodien der Rothäute
Nordamerikas verwerfet; daraus erwädisf dann die indianische Fantasie für Klavier
und Orchester, die uns ganz in die Prairie verseht. Sie zerfällt in drei Abteilungen,
Fantasie, Kanzone, Finale. Als Fortseßung des indianischen Tagebuchs stellt sich
der »Gesang vom Reigen der Geister« dar, in dem, wie bei der Berceuse, die intime
Orchesferbeseßung auf fällt: 4 Holzbläser, ITrompete, 1 Posaune, 1 Pauke,gedämpfte
Streicher. Prägnant charakterisiert Leichfenfritt die wundersame Studie: „Ein
seltsames Gemisch von primitiven und raffinierten Zügen übt seinen entlegenen
Reiz in diesen erlesenen Klängen. Mystische Feierlichkeit, gemessener religiöser
Tanz, wehklagende Phrasen und Melodien von einer entzückenden, naiven und
unberührten Frische einen sich in jener regellosen und doch so logischen Harmonik,
die Busonis besondere Errungenschaft darstellt“. Kein Wunder, wenn im Werk
Busonis, der viele Sprachen beherrscht und den seine Tourneen über seine italienische
Heimat hinaus bis nach Amerika und Skandinavien führten, das exotische Element
bedeutsam hervortrift. Stark betont ist es in der Bühnenmusik zum »Tura-ndot«( 1906)
— vornehmlich als achfsäßige Orchestersuite bekannt — dem ersfenVersuch ein ita-
lienisches Schauspiel musikalisch zu illustrieren. „Dieser fortwährende bunteWechsel
von Passion und Spiel, von Realem und Irrealem, von Alltäglichkeit und exotischer
Phantastik war es, der mich an dem chinesischen Theatermärchen Gozzis am meisten
gereizt hat.1' Wohlweislich wird aber nur die Illusion chinesischer Musik erweckt.
Zur exotischen Phantastik trägt wesentlich das Kolorit bei, etwa in dem grotesken
Marsch des Truffaldino, wo Holz-, Blechbläser und Schlagzeug, Streidrer überhaupt
nicht, angewandt werden.
Das Exotische ist nur ein Bezirk in dem ungemessenen Reiche des Phantastischen,
-lenes Zwischenreich, in dem Wirklichkeit und Traum ineinander rinnen, zieht ihn
fortan immer mehr in seinen Bann. Ja, man kann sagen, das Phantastische wird
nun seine Spezialität; es wird in immer höhere Regionen geleitet und die Musik


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