Zweifel: wir haben in Kolig eine starke malerische
Begabung vor uns, die, wenn sie auch bis zu einem
gewissen Grade Kokosdrka verpfliditet ist, dennodr
eine eigene Entwicklung zu gewährleisten scheint. Der
großstädtisdien Morbidität Kokosdrkas kann Kolig
eine rustikale Gesundheit gegenüberstellen. Zu seinen
Gunsten spridit vor allem seine vornehme Zurückhaltung,
die es verschmäht, durch eine marktschreierische Geste
den Eigenwuchs zu unterstreichen. Mit Kokoschkas
»Jagd« verglidren, wirken die Bilder Koligs konservativ.
Bei der »Klage« bewundere ich die saftige Reife des
malerischen Vortrags (besonders im Hintergrund
links). Die bäuerlichderbe Jünglingsgestalt ist freilidi
bar jeden seelischen Gehalts. Gleidres gilt audi von
den übrigen Werken Koligs. Das Materielle der
Pinselarbeit ist ausgezeichnet; aber die seclisdie Durdi-
dringung und Erfassung des Mensdien bleibt uns
dieser Künstler sdiuldig.
Auch an Böckl — einen Landsmann des Kärntners
Kolig — knüpfen sidr große Erwartungen. Sie scheinen
mir in diesem Falle kaum gerechtfertigt. Ein neuer
Name: Ernst Huber. Der Künstler, der ihn
trägt — er soll nodr ganz jung sein — verblüfft
und bestidrt durdr die Virtuosität seiner Madie und
den Wiß seiner Phantasie. Er gefällt sich, mit den
alten Meistern zu kokettieren. Eine Begabung jeden-
falls — aber eine, die Gefahr läuft, sidi zu verspielen.
Es wäre schade um sie.
Unter den übrigen Novizen hat keiner eine zukunfts-
heischende Gebärde. Talent ist ja fast überall vorhanden,
aber wer hätte in diesem valutasdiwachen Lande keine
Talente? Talent wird nadigcrade so häufig und
wertlos wie Papiergeld. Wo aber ist die Pcrsönlidikeit,
die nidit in bunten Assignaten, sondern in hartem
Metall auszahlt?
Wie steht es um die, deren Anfänge uns einst Ver-
heißung waren? Sie haben sidi fast alle hier ein
Stelldichein gegeben. Aber Kokoschka ist der einzige,
dem der Atem auf dem Steilweg zur Meisterschaft
nicht ausgegangen ist. Faistauer beweist noch immer,
daß er eine saftige Malernatur hat. Aber wenn er
anspruchsvoll wird, wie auf der »Pieta«, dann zeigt
sidi ersdireckend deutlich das Engbegienzte seiner
Begabung. Und sein Eklektizismus. Geradezu fatal
ist die Heurigenstimmung des Mittelbildes. Sein
»Marienleben«, das er auf sedis kleinen Tafeln dar~
sfellt, versöhnt uns wieder durch seine liebenswürdige
Innigkeit.
Willi Novak ist noch immer sehr süß. Renoir war
sein entscheidendes Erlebnis in der Kunst. Er hat viel
österreichische Mozart-Anmut im Blut und überhaupt
sehr viel Dix-huüieme. Jedenfalls ist er immer entzückend
graziös und kultiviert. Auf seiner Palette verhaudien
die zartesten Graus, Blaus und Rosas, und sein Pinsel hat
die Beschwingtheit Watteaus. Er hat das Rokoko für das
20. Jahrhundert verwienert, wie Lendecke das Empire.
Eigentlich ist der Wiener für das Radikale, Vorwärfs-
sfürmende nicht zu haben. Schon dem Aeneas Sylvius
hat sich der Konservatismus dieser Stadt aufgehängt.
„Ihnen (den Wienern) gilt nur das alte Herkommen.“
Konzilianter ausgedrückt .* der Wiener hat Traditions-
gefühl. Audi als Künstler. Bei aller Modernität bleibt
sich Kokosdika seines Zusammenhangs mit der Ver-
gangenheit bewußt. Kubin — einer der größten Zeichner
des Jahrhunderts (man hat seine Bedeutung in Österreich
scheinbar noch nidit voll erfaßt) betont geradezu das
Altmodische seiner Haltung und ist doch persönlidi
und modern bis in die vagste Linie. Die Suite von
Kubinzeichnungen, die in der »Kunstschau« zu sehen
ist, zählt zu den sidiersten Werten dieser Ausstellung.
An eine nahe Vergangenheit knüpft Hanak an. Sie
ist durch das Schaffen Rodins bestimmt. Der „Wiener
Rodin“ sagt man hierzulande von Hanak und meint
damit ein großes Lob auszusprechen. Für midi enthält
es das Zugeständnis einer Unselbständigkeit, über die
midi auch das bravouröse Können dieses Bildhauers
nidit hinwegfäusdien kann.
Die Bilanz dieser Ausstellung? Viel Talent, wenig Cha-
rakter. Soviel Geschmack, daß man damit ganz Deutsch-
land soutenieren könnte, aber ein Respekt vor ästhetischen
Konventionen, der fast an Feigheit streift. Ein süßes
Parfüm der Verwesung über allem. Frische Luft, bitte!
LEOPOLD ZAHN.
WIE ICH KLEE SEHE. Sonne! Sie besißt nidit
nur rote oder gelbe Strahlen. Sie hat alle Farben;
sie schafft, sie schöpft sie aus sich. Sonnenexpressionis-
mus. Und sie sdieinf nicht nur im Freien. Sie haftet
auch im gesdilossenen Raum. Alles Gegenständlidie
liegt im Heerbann der Sonne, strahlt aufgenommene
Strahlen aus sich aus. Gegenstandsexpressionismus.
Sonne ist Farbe, aber Sonne ist audi Licht, Helle.
Alles ist in dieselbe Atmosphäre getaucht, alles steht
im Vordergrund, in einer Ebene. Tiefenwirkung des
Raumes würde da nur stören. Farbe, Helle, Frische
herrschen. Daher steht audi Farbe gegen Farbe,
unvermittelt, ohne Zwischenfarben, aber in einem im
Vielklang gelegenen Einklang, der die Neßhauf zugleidi
beruhigt und anregt. Stirmmu g, glückselige Ruhe und
troßdem angeregte Empfindung ist die Wirkung.
Und die Farben haben Form. Fast hat man das Gefühl,
daß jede einzelne F orm eine ausgeprägte Funktion jeder
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Begabung vor uns, die, wenn sie auch bis zu einem
gewissen Grade Kokosdrka verpfliditet ist, dennodr
eine eigene Entwicklung zu gewährleisten scheint. Der
großstädtisdien Morbidität Kokosdrkas kann Kolig
eine rustikale Gesundheit gegenüberstellen. Zu seinen
Gunsten spridit vor allem seine vornehme Zurückhaltung,
die es verschmäht, durch eine marktschreierische Geste
den Eigenwuchs zu unterstreichen. Mit Kokoschkas
»Jagd« verglidren, wirken die Bilder Koligs konservativ.
Bei der »Klage« bewundere ich die saftige Reife des
malerischen Vortrags (besonders im Hintergrund
links). Die bäuerlichderbe Jünglingsgestalt ist freilidi
bar jeden seelischen Gehalts. Gleidres gilt audi von
den übrigen Werken Koligs. Das Materielle der
Pinselarbeit ist ausgezeichnet; aber die seclisdie Durdi-
dringung und Erfassung des Mensdien bleibt uns
dieser Künstler sdiuldig.
Auch an Böckl — einen Landsmann des Kärntners
Kolig — knüpfen sidr große Erwartungen. Sie scheinen
mir in diesem Falle kaum gerechtfertigt. Ein neuer
Name: Ernst Huber. Der Künstler, der ihn
trägt — er soll nodr ganz jung sein — verblüfft
und bestidrt durdr die Virtuosität seiner Madie und
den Wiß seiner Phantasie. Er gefällt sich, mit den
alten Meistern zu kokettieren. Eine Begabung jeden-
falls — aber eine, die Gefahr läuft, sidi zu verspielen.
Es wäre schade um sie.
Unter den übrigen Novizen hat keiner eine zukunfts-
heischende Gebärde. Talent ist ja fast überall vorhanden,
aber wer hätte in diesem valutasdiwachen Lande keine
Talente? Talent wird nadigcrade so häufig und
wertlos wie Papiergeld. Wo aber ist die Pcrsönlidikeit,
die nidit in bunten Assignaten, sondern in hartem
Metall auszahlt?
Wie steht es um die, deren Anfänge uns einst Ver-
heißung waren? Sie haben sidi fast alle hier ein
Stelldichein gegeben. Aber Kokoschka ist der einzige,
dem der Atem auf dem Steilweg zur Meisterschaft
nicht ausgegangen ist. Faistauer beweist noch immer,
daß er eine saftige Malernatur hat. Aber wenn er
anspruchsvoll wird, wie auf der »Pieta«, dann zeigt
sidi ersdireckend deutlich das Engbegienzte seiner
Begabung. Und sein Eklektizismus. Geradezu fatal
ist die Heurigenstimmung des Mittelbildes. Sein
»Marienleben«, das er auf sedis kleinen Tafeln dar~
sfellt, versöhnt uns wieder durch seine liebenswürdige
Innigkeit.
Willi Novak ist noch immer sehr süß. Renoir war
sein entscheidendes Erlebnis in der Kunst. Er hat viel
österreichische Mozart-Anmut im Blut und überhaupt
sehr viel Dix-huüieme. Jedenfalls ist er immer entzückend
graziös und kultiviert. Auf seiner Palette verhaudien
die zartesten Graus, Blaus und Rosas, und sein Pinsel hat
die Beschwingtheit Watteaus. Er hat das Rokoko für das
20. Jahrhundert verwienert, wie Lendecke das Empire.
Eigentlich ist der Wiener für das Radikale, Vorwärfs-
sfürmende nicht zu haben. Schon dem Aeneas Sylvius
hat sich der Konservatismus dieser Stadt aufgehängt.
„Ihnen (den Wienern) gilt nur das alte Herkommen.“
Konzilianter ausgedrückt .* der Wiener hat Traditions-
gefühl. Audi als Künstler. Bei aller Modernität bleibt
sich Kokosdika seines Zusammenhangs mit der Ver-
gangenheit bewußt. Kubin — einer der größten Zeichner
des Jahrhunderts (man hat seine Bedeutung in Österreich
scheinbar noch nidit voll erfaßt) betont geradezu das
Altmodische seiner Haltung und ist doch persönlidi
und modern bis in die vagste Linie. Die Suite von
Kubinzeichnungen, die in der »Kunstschau« zu sehen
ist, zählt zu den sidiersten Werten dieser Ausstellung.
An eine nahe Vergangenheit knüpft Hanak an. Sie
ist durch das Schaffen Rodins bestimmt. Der „Wiener
Rodin“ sagt man hierzulande von Hanak und meint
damit ein großes Lob auszusprechen. Für midi enthält
es das Zugeständnis einer Unselbständigkeit, über die
midi auch das bravouröse Können dieses Bildhauers
nidit hinwegfäusdien kann.
Die Bilanz dieser Ausstellung? Viel Talent, wenig Cha-
rakter. Soviel Geschmack, daß man damit ganz Deutsch-
land soutenieren könnte, aber ein Respekt vor ästhetischen
Konventionen, der fast an Feigheit streift. Ein süßes
Parfüm der Verwesung über allem. Frische Luft, bitte!
LEOPOLD ZAHN.
WIE ICH KLEE SEHE. Sonne! Sie besißt nidit
nur rote oder gelbe Strahlen. Sie hat alle Farben;
sie schafft, sie schöpft sie aus sich. Sonnenexpressionis-
mus. Und sie sdieinf nicht nur im Freien. Sie haftet
auch im gesdilossenen Raum. Alles Gegenständlidie
liegt im Heerbann der Sonne, strahlt aufgenommene
Strahlen aus sich aus. Gegenstandsexpressionismus.
Sonne ist Farbe, aber Sonne ist audi Licht, Helle.
Alles ist in dieselbe Atmosphäre getaucht, alles steht
im Vordergrund, in einer Ebene. Tiefenwirkung des
Raumes würde da nur stören. Farbe, Helle, Frische
herrschen. Daher steht audi Farbe gegen Farbe,
unvermittelt, ohne Zwischenfarben, aber in einem im
Vielklang gelegenen Einklang, der die Neßhauf zugleidi
beruhigt und anregt. Stirmmu g, glückselige Ruhe und
troßdem angeregte Empfindung ist die Wirkung.
Und die Farben haben Form. Fast hat man das Gefühl,
daß jede einzelne F orm eine ausgeprägte Funktion jeder
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