Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Hübner, Friedrich Markus: Die holländische "Styl"gruppe
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0292

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hat sich die neue Kunst Hollands gegenüber der heimischen und ausländischen
Öffentlichkeit dergestalt noch nicht völlig durchzusehen vermocht, so liegt dies
jedenfalls nicht an einem Zuwenig von innewohnender Zielsicherheit* Geradezu
erstaunlich ist es zu sehen, mit welcher Pünktlichkeit vielmehr auch in Holland rund
um das Jahr 1900 die Künstlerandacht von der Natur Absdiied nahm und sich
der inneren Welt zuwandte, und wie diese Andacht Jahr um Jahr sich ihrer eigenen
Ehrlichkeit und der Gemäßheit der handwerklichen Ausdrucksmittel nah und näher
gekämpft hat* Wäre es nicht an und für sich des großen europäischen Parallelismus
wegen, so müljte immerhin dieses holländischen Einzelfalls einer besonders straffen,
klaren und tatkräftigen Entwicklung halber das Ausland anfangen, in sein Gesichts-
feld einzubeziehen, was in der durch Frankreich, England, Deutschland umrandeten
holländischen Kulturenklave die Künstler dieser Gegenwart hervorbringen.
Es sind zwei gleich heftige, gleich plöbliche und doch aus wesentlich verschiedenen
Seelenbereichen abstammende Antriebskräfte, die wie im übrigen Europa auch im
holländischen Kunstschaffen sich mit einander verbünden, um gemeinsam die Last
des Alten abzuschütteln. Ähnlidi wie 1880, wo das „Zurück zur Natur“ des künst-
lerischen Naturalismus ebenso sehr für das Einzelleben und für die Zustände der
menschlichen Gesellschaft Geltung beanspruchte, wo aber diese zweite Grund-
stimmung vor den Widerständen des bürgerlich geregelten und selbstzufriedenen
Alltags gemach verblich und es bei einer Revolution blof> innerhalb der Ateliers
und der Schreibgemächer blieb, so war ein Menschenalter später das nun erschallende
„Los von der Natur“ im nämlichen Mähe für die Kunstwerke wie für die lebendige
Allgemeinheit gedacht; nur dab sich jdjt die sittliche Komponente neben der ästhe-
tisdien in voller Gleidiwertigkeit und Wirkungsgewalt behauptete. Die Vermischung
war vollständig und bisin den Wortgebraudi laufen dieForderungen,dieAuslegungen,
die Ablehnungen aus den beiden Revolutionsbezirken fortwährend ineinander über.
Wurde das „Los von der Natur“ durch die neue Malkunst dahin verdolmetscht,
dah nicht mehr die äußere Natur das oberste Richtmaß für die Bilddarstellung ab-
geben dürfe, dab die bemalte Leinwand auf Grund einer eigenen, ideenmäbigen,
nicht auf Naturvergleiche gestiibten Formensprache ihre ästhetische Llberredungskraft
zu entwickeln habe, kurzum, dah die Bildschöpfung in voller Selbständigkeit als
ein Organismus für sich leben müsse, so suchte das als Gesinnung vorgetragene
„Los von der Natur“, in der Versdiwisterung mit dem rein ästhetischenBckenntnisse^
den Menschen als soziale und seelische Erscheinung aus seinem überkommenen
Perspektivismus loszurücken und ihn wieder ganz auf sein unsichtbares Ich, auf
seine unerschöpfte Menschenidee zu stellen. Die Betonung des Geistigen in der
Kunst findet ihr Gegenüber in der Inbrunst, mit der die neue Generation denkend
und werktätig den Kampf gegen die praktische „Wirklichkeit“ führt, gegen diese
Wirklichkeit, der es gelang, den Menschen zu einem bloben Anhängsel ihrer selbst
zu erniedrigen. Hüben wie drüben ergänzt sich die Umwälzung von der Phantasie

26S
 
Annotationen