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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Behne, Adolf: Von holländischer Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0310

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Form aufgeschichtet, auf Quadrat- oder Sechseck-Grundriß. Vier oder sechs
Stangen an den Ecken tragen ein bretternes schwarzes Zeltdach, das mit dem
Abnehmen des Strohs von selbst tiefer sackt. So haben die Schober etwas von
Eingeborenenhütten — jedenfalls aber sind sie ein Beweisstück mehr für die tek-
tonische Grundgesinnung des Volkes und für die unzertrennlich mit ihm verbundene
Ordnungsliebe.
Wo kommt nun dieser — spridiwörtlidi gewordene — Zug her? Mir scheint er
eine Folge des Schiffsbaues und des Seefahrens zu sein.
Immer w ieder findet man in der mittelalterlichen Architektur Hollands Bogenf ormen,
die in ihrer eigentümlichen, weiten und doch energischen Spannung an Schiffsspanten
erinnern (z. B. Grote Kerk zu Rotterdam). Und tragen nicht die manchmal ganz
köstlichen hölzernen Wölbungen der Kirdrenschiffe (Haarlem, Haag) wirklich Schiffs-
charakter? Die ganz eigenartige, schon erwähnte Zusammenarbeit von knappster
Praxis und büßend schmucker Ordnungsfreude ist Seefahrerart, ist bei Seefahrern
zweite Natur und sicherlich ganz einfach-logisch bedingt aus ihrem Tun, das in
Beschränkung auf kleinsten Raum ohne raffinierte Ausnutzung und peinliche
Akkuratesse bald in Verlegenheiten käme. Schon ein Blick auf die Kajütenfenster
einer Spreezille lehrt uns das erkennen. Im herrlichen Rotterdamer Hafen aber
zeigen uns die mächtigen Ozeanfahrer, daß der leichte, sparsame, konstruktiv-feine
Aufbau der Decks, Kabinen, der Brücken und Gänge völlig gleichen Charakter
hat, wie ihn die reizenden, in Baikone, Veranden und Treppen aufgelösten Rück-
seiten der kleinen Stadthäuser auf weisen.
Die starke physisdre Einheit des Landes, die Verbundenheit an die Bezwingung
der Wirklichkeit sichern der holländischen Architektur ihre erstaunliche Festigkeit
in der Tradition, die so mächtig ist, daß selbst das radikalstModerne sich selbst-
verständlich und ohne Kompromiß, ja, ohne es zu wissen, einfügt in das Ganze
von Ort und Zeit. Merkwürdig auch, daß ein Begriff, der bei uns arg kompromittiert
ist, in Holland seinen guten Sinn hat: in Holland kann man von einem „Fortschritt“
sprechen, ohne bürgerlidr zu denken, d. h. ohne rückschrittlich zu sein. Das rührt
daher, daß der Holländer das, was er beginnt, ganz macht. So hat der Bildersturm
in Holland mit radikalster Kraft seine Arbeit getan. Im Dom zu Utrecht sieht man
nach den neuen Freilegungen sein Zerstörungswerk am deutlichsten, wie überhaupt
in Holland der Protestantismus weit konsequenter zu Ende geführt worden ist,
als im Lande Luthers. Die protestantische Kirche in Holland kennt nicht das
Kompromiß Altar — Kanzel. Die protestantische Kirche in Holland ist ganz und
gar Auditorium, unter völligem Verzicht auf den Altar und selbstverständlich unter
Verzicht auf alle Engels-, Heiligen- und Nimbenrudimenfe. Aber was hierbei
wieder das Interessanteste ist: der Holländer blieb auch hier nicht im Negieren
stecken. Hier kam aus dem radikalen Zerstörungswerk der Bilderstürmer wirklich
eine neue Form, eben weil das Alte radikal zerstört war; es entstand die

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