Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Mengelberg, Rudolf: Musik in Holland
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0320

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nur im 15. und 16. Jahrhundert entscheidend hervortreten. Das ist zu einer Zeit,
die für uns keine lebendige Erinnerung mehr hinterlassen hat. Man spricht von
einer „Niederländischen Schule“, deren Blütezeit um das Jahr 1460 angesehl
wird. Ihre grobe Bedeutung bestand in der Schöpfung des sogenannten „durch-
imitierenden a capella-Stiles“. Johannes Okeghem ist der erste Meister und nächst
ihm Jacob Obredit der älteste Vertreter dieses Stiles. Für die ganze Schule ist eine
verstandesgemäbc Nüchternheit charakteristisch, es fehlt ihr bei aller Bedeutung
innerhalb der großen Entwicklungslinie der Musik noch gänzlich das (im weitesten
Sinne) Romantische aller großen Kunst, das uns heute von dem Begriff „Musik“
unzertrennbar ist. Nach dieser Blütezeit einer niederländischen Musik trat Ffolland
als Land einer eigenen Musikkultur zurück; nur der Name Jan P. Sweelink (gest.
1721 in Amsterdam), dessen zahlreiche Kirchenwerke von bedeutendem Einfluß
vor allem auch indirekt auf die deutschen Meister Bah und Händel waren, hat
über die Jahrhunderte hin seinen guten Klang behalten. Nicht zuleht wurde die
Musikpflege und Produktion schwer gehindert durch die ungeheuere Mäht des
(Kalvinismus, dessen strenge phantasietötende Dogmen Holland lange Zeit geradezu
verhängnisvoll beherrsht haben und noh heute den Lebensformen gewisser Kreise
ihren Stempel aufdrücken; denn Holland ist ein Land der Tradition. Erst um die
Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt sich neues Leben zu regen, das bis heute in
dauerndem Wahsen begriffen ist. Entsprehend dieser relativ steten Entwicklung
hat sih auch die soziale Stellung des Musikers erst spät gehoben und ist noh
immer niht allgemein so angesehen, wie es billig wäre in Anbetraht der bedeut-
samen Rolle, die die Musikpflege heute im öffentlihen Leben spielt.
Das Erwahen eines intensiven musikalischen Lebens in unserem heutigen Sinne
ist mit dem Namen JohannesVerhulst (1816—1891) aufs engste verknüpft.
Er lebte und fühlte ganz mit den deutschen Romantikern, an deren grobe Vertreter
Mendelssohn undShumann er sidi angeshlossen hatte. Auch persönliche Freund-
shaft verband ihn mit beiden. Von 1838 bis 1842 mähte er in Leipzig die Blütezeit
des dortigen musikalischen Lebens und der im Mittelpunkt stehenden Gewandhaus-
konzerte unter Mendelssohn mit. In Schumanns Schriften und Briefen kehrfVerhulsts
Name häufiger wieder, und auf den rheinishen Musikfesten der späteren Jahrzehnte
war der holländische Komponist und Dirigent eine bekannte Figur. Nah seinem
Leipziger Aufenthalt ging Verhulst nämlich in sein Vaterland zurück und trat hier
mit Energie und Begeisterung für die von ihm geliebten klassischen und roman-
tisdienMeisterein. AuhalsKomponist war er sehr fruchtbar; zahlreiche Kirchenwerke,
Quartette und Ouvertüren shrieb er und auch eine Sinfonie, die vor einigen Jahren
anläßlich seines hundertjährigen Geburtstages noheinmal im Amsterdamer Concert-
gebouwzu Gehör gebraht wurde — seltsam verblaut wirkend, ein fastmelancholischer
Grub aus einer anderen weihen Zeit vornehmer, doh mehr oberflächlich gefühlvoller
Empfindungen. Das schließt niht aus, dab ihr Shöpfer in seinem praktishen Beruf

296
 
Annotationen