Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Waetzoldt, Wilhelm: Wilhelm Wackenroders "Herzensergiessungen eines kunstliebenden Klosterbruders"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0376

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

WILHELM WACKENRODERS
»HERZENSERGIESSUNGEN EINES
KUNSTLIEBENDEN KLOSTERBRUDERS«
WILHELM WAETZOLDT

Die Grundlage für das romantische Kunstempfinden des anhebenden 19* Jahr-
hunderts bildet ein neues Lebensgefühl. Eine Verschiebung der seelischen
und geistigen Gesamthalfung des Menschen findet statt; die auch eine
neue Einstellung künstlerischen Werten gegenüber zur Folge hat. Die romantischen
Kunstforscher treten noch nicht auf als wissenschaftliche Fachleute und Vertreter
einer akademischen Disziplin, sondern sie geben sich als geistvolle Liebhaber, als
Menschen, die die Kunst lieb haben. Daß dieser kleine Schriftstcllerkreis für die
Kunsiwissenschaftvon entscheidender, wegweisender und wegbereitender Bedeutung
geworden ist, daß schon die erste romantische Bekenntnissdirift tiefer und weiter
wirkte, als Goethes, Herders und Heinses kunsttheoretische Arbeiten, das hat wohl
seinen lebten Grund darin, daß die Romantiker wirklich zu Organen der deutschen
Kunstsehnsucht wurden, in ähnlicher Weise, Stärke und Unmittelbarkeit, wie ein
halbes Jahrhundert vorher Winckelmann der Mund der Wünsche und Hoffnungen
seiner Zeit gewesen war. Während sich in Goethes »Einleitung in die Propyläen«
(1797) die Welt der begrifflichen, theoretisierenden Kunstauffassung des Klassizis-
mus noch einmal repräsentativ und im abendlichen Glanze zusammenfaßte, ergoß
sich schon aus dem Herzen des jungen Wilhelm Wackenroder der quellfrische
Strom eines rein gefühlsmäßigen Kunstempfindens. Auf dem Boden eines neuen
Kunstempfindens und Kunstwollens erwächst schließlich auch eine neue, die roman-
tische Geschichtsauffassung, die freilich im Weltbild des jungen Goethe und Herders
schon vorgebildet war. Sie wirkt in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts
weiter und bis hinein in die historischen Schulen, um, wenn nicht alle Zeichen trügen,
heute eine Wiedergeburt zu erleben. Mannigfach sie kreuzend, berührend, dann
wieder sie meidend und ihr ausweichend verläuft die ebenfalls im 18. Jahrhundert
geborene und von Winckelmann ausgehende Gegenbewegung der klassizistischen
Geschichtsauffassung, die, gleichfalls eine typische Verhaltungsweise des Menschen
zur geistigen Welt, in der kunstwissenschaftlichen Begriffsforsdiung der Gegen-
wart einen vorläufigen Zielpunkt erreicht hat.


24*

551
 
Annotationen