DAS NEUE MUSEUM
IN WIESBADEN
FRED LÜBBECKE
VORROMANISCHER TÜRSTURZ AUS GEISENHEIM
Badeorte kranken zumeist an ihrem Beruf; dem Mißverhältnis zwischen Ein-
heimischen und Gästen. Der Gast will sieben Sonntage in der Woche.
Städte wie Bürger brauchen sedis Werktage; um etwas Ordentliches zu
werden. So wächst in den Badeorten der elegante Gips. Hinter teppichbelegten
Dielen kauern die muffigen Kammern der Hausknechte. Vor hundert Jahren, als
die Zeit noch in den Fugen war, sah es auch in den Gaststädten weniger gipsern
aus. Man betrachte im neuen Wiesbadener Museum die Modelle der Bauten;
die einst Wiesbaden bildeten. Schwinds Hochzeitskutsche könnte gerade um die
Ecke gefahren kommen; durchs Mainzer Top vorbei am gotischen Uhrturm am
Markt und zum Gasthaus zur Rose am Kochbrunnen. Steht man heute vor dem
Hotel der vier Jahreszeiten — köstlich in seinem einfachen Empire — und schaut
zu dem donnernden Barockgebilde eines überhißten Oberkellnerehrgeizes hinüber;
dem Grand Hotel Nassau, so hat man das Schicksal Wiesbadens in nuce vor
sich. Gottseidank beginnt es sich zu wandeln. Ansäße der Besserung sieht man
an manchem neuen Bau. Vieles bleibt noch zu tun. Vielleicht sind auch schon
die Männer unterwegs, die diese Arbeit leisten wollen und können.
Ihr Hauptquartier müßte das neue Wiesbadener Museum sein. Ganz in der Stille
ist hier für alle Bestrebungen geistiger und künstlerischer Art ein Heim emporge-
wachsen, wie es schöner und zweckmäßiger manche weit größere Stadt sich jeßt nicht
wünschen könnte. Daß sich eine deutsche Stadt im nächsten Dezennium überhaupt
noch solchen Bau wird leisten können, scheint jenseits jeder Prophetie zu liegen.
Das Wiesbadener Museum lag früher mitten auf der Wilhelmstraße, in einem klar
385
26*
IN WIESBADEN
FRED LÜBBECKE
VORROMANISCHER TÜRSTURZ AUS GEISENHEIM
Badeorte kranken zumeist an ihrem Beruf; dem Mißverhältnis zwischen Ein-
heimischen und Gästen. Der Gast will sieben Sonntage in der Woche.
Städte wie Bürger brauchen sedis Werktage; um etwas Ordentliches zu
werden. So wächst in den Badeorten der elegante Gips. Hinter teppichbelegten
Dielen kauern die muffigen Kammern der Hausknechte. Vor hundert Jahren, als
die Zeit noch in den Fugen war, sah es auch in den Gaststädten weniger gipsern
aus. Man betrachte im neuen Wiesbadener Museum die Modelle der Bauten;
die einst Wiesbaden bildeten. Schwinds Hochzeitskutsche könnte gerade um die
Ecke gefahren kommen; durchs Mainzer Top vorbei am gotischen Uhrturm am
Markt und zum Gasthaus zur Rose am Kochbrunnen. Steht man heute vor dem
Hotel der vier Jahreszeiten — köstlich in seinem einfachen Empire — und schaut
zu dem donnernden Barockgebilde eines überhißten Oberkellnerehrgeizes hinüber;
dem Grand Hotel Nassau, so hat man das Schicksal Wiesbadens in nuce vor
sich. Gottseidank beginnt es sich zu wandeln. Ansäße der Besserung sieht man
an manchem neuen Bau. Vieles bleibt noch zu tun. Vielleicht sind auch schon
die Männer unterwegs, die diese Arbeit leisten wollen und können.
Ihr Hauptquartier müßte das neue Wiesbadener Museum sein. Ganz in der Stille
ist hier für alle Bestrebungen geistiger und künstlerischer Art ein Heim emporge-
wachsen, wie es schöner und zweckmäßiger manche weit größere Stadt sich jeßt nicht
wünschen könnte. Daß sich eine deutsche Stadt im nächsten Dezennium überhaupt
noch solchen Bau wird leisten können, scheint jenseits jeder Prophetie zu liegen.
Das Wiesbadener Museum lag früher mitten auf der Wilhelmstraße, in einem klar
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