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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Bagier, Guido: Junge Kunst in Wiesbaden
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0453

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Hensler und Josef Vinecky. Hensler, Schüler des Darmstädter Hoetger, hat troh
seiner Jugend sich rasch erheblidien Fundus an Technik und selbstverständlicher
Formung erarbeitet. Seine durchaus lyrische Natur schwelgt in anmutiger Linie
und andeutender, allem Brutalen und Eckigen ängstlidi ausweichender Geste. Seine
Plastiken —meist Porträte —arbeiten das Geistige derVorlage stark heraus: Beispiel
hierfür der konzentrierte Kopf Wilhelm Uhdes, die selbstverständlich gemeißelten
Damenköpfe. Josef Vinecky kennt nicht diese klassizierende Beherrschung, in
ihm flackert ein unstetes Temperament, das ihn zu heftigen Ausbrüchen hinreißt,
immer aber die Ehrlichkeit des Wollens betont. Seine fast kubischen Figuren sind
getränkt von Gefühl, die Gerade erhöht sich ihm zur innig beseelten Form. Er
bevorzugt dieZweiheit in der Darstellung, sei es, daß Mutter und Kind sich zusammen-
schließen, sei es, daß zwei Frauenköpfe eine starke Harmonie ergeben. In raschem
Tempo stößt er Sdilacke um Schlacke ab.
Neben den Schaffenden der bildenden Künste gehen in Literatur und Musik die
Reproduzierenden einher, es sei denn, daß der feinsinnige Leo Sternberg in
Rüdesheim, der bodenständige Nikolaus Sdiwarzkopf in Ockenheim — unweit
der Geburtsstätte Stefan Georges — dem Wiesbadener Kreise zugezählt werden. Fast
über die Tätigkeit des Nachschaffens hinaus geht das Wirken Carl Hagemanns
am Staafstheater. Der grolle, prunkhafte Bau an den Kolonnaden — viel gelästert
und bekrittelt! — hat für Wiesbaden jeßt unschätzbaren Wert: ein unerschöpflicher
Fundus, vorbildliche Bühneneinrichtungen, ein großes, einnahmefähiges Haus
begründen einen neuen Ruf, dafern die Zügel dieses Wagens von der riditigen
Hand ergriffen werden. In Hagemann besißt Wiesbaden jenen Lenker, der behutsam
und mit Geschick das anfangs zaghafte Fahrzeug auf den Weg ernster Kunstübung
steuerte, so daß bereits jeßt, nach halbjähriger Tätigkeit, von vielem Positivem
berichtet werden kann. Das Schauspiel begann mit Göß und Hamlet in der
Einrichtung des begabten Schenk von Trapp szenisch mit dem bisherigen Zopfe
aufzuräumen und rhythmisdi eindringliche Bilder zu stellen. Die Sprechtechnik der
Schauspieler schwenkte langsam mit ein, und so konnte im Februar die erste Tat:
die Uraufführung der »Brüder« von Hermann Kesser gewagt werden. In der
Oper offenbarten sich gleiche Möglichkeiten: Schrekers »Schahgräber« kam
musikalisch und szenisch harmonisch bis ins kleinste heraus. Die Regie der Galgen-
szene schlug alle bisherigen Partner aus dem Felde.
In derTonkunst endlidi gruppiert sich eine begeisterte Menge um Carl Schuricht.
Seine stark nachfühlende Art, seine Fähigkeit, Wärme spontan umzusehen und
einem ständig wedrselnden Publikum mitzuteilen, machen ihn für Wiesbaden un-
schätzbar. Seine Interpretation Mahlerscher Werke genickt mit Recht besonderen
Ruf. Seine Auffassung Bruckners ist mitreißend gesund und organisch. Rein
äußerlidi betrachtet genießt die Stadt — bald wohl als einzige Deutschlands —
den Vorzug, zwei große, behördlich fundierte Orchester zu besißen. Nur so ist es
angebracht, hier Feste für Brahms und Mahler zu feiern, im Zusammenstehen
von Stadt- und Staatstheater Wirkungen von wahrhaft großen Maßen zu erzielen.

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