Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Artikel:
Grolman, Willy von: Die Wiesbadener Gesellschaft für Grabmalkunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0457

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Grabdenkmal hatte im 19. Jahrhundert zunächst das Sdiicksal aller übrigen
angewandten Künste geteilt. Seine leßte große Blüteperiode fällt in das ersteVieriel
des vorigen Jahrhunderts. Keiner, der die alten Teile unserer ja häufig nodi bis in
die Biedermeierzeit in ihren Anfängen zurückreichenden Friedhöfe betritt — etwa
den Berliner Invalidenfriedhof oder den Mainzer Zentralfriedhof, um zwei besonders
glückliche Beispiele zu nennen — wird von dem zarten Hauch elegischer Stimmung
unberührt bleiben, der von diesen stets im schlichtesten Material d.h. in Sandstein
ausgeführten und beiläufig trotzdem noch heute wohl erhaltenen Denkmalen aus-
geht; aber er wird auch feststellen, wie genau um die Jahrhundertmitte ein rapider
Verfall der künstlerischen Form einseßt und eine unempfundene Nachahmung aller
möglichen historischen Stile Plaß greift, bis er schließlich in der modernen, etwa
mit 1880 einseßenden Abteilung sidi wildester Barbarei gegenübersieht. Mit diesem
Jahr beginnt, wie der Verfasser seiner Zeit nachwies, das Sonderschicksal des
Grabmals: Es gerät in die Hand der rein kapitalistisch betriebenen Granitschleife-
reien, und der polierte schwarz-schwedische Granit, den man dem braven Bürger
als das einzige seiner bedeutenden Person würdige, weil völlig unveränderliche
Material aufzureden wußte, reißt allmählich die Alleinherrschaft an sich. Jcßt werden
die Denkmale gleich zu Dußcndcn nach dem gleichen Sdiema aus dem Block gesägt
und bis auf die Nameninschrift fertig dem zum Händler gewordenen Steinmeßen
vor den Friedhofstoren geliefert. Bald geht den so Deklassierten auch der leßte
Rest handwerklicher Tradition verloren, und nun entstand neben der Formen-
armut der fabrikmäßigen Obelisken und mathematisch ausgerichteten Kreuze jenes
bekannte Durcheinander unmöglicher Schmuckformen, wie das künstliche durch
Einhaucn von Rillen in den Stein erzeugte Zyklopenmauerwerk, die naturalistischen
Baumstämme, die Photographien auf Porzellan und andere Dinge mehr. „Keine
entartete Kunst, aber eine völlige Unkunst, der absolute Dilettantismus künstle-
rischer Analphabeten treibt hier sein Unwesen“ (Vorwort des Kat. z. Ausst.). Gleich-
zeitig hatte die Bürokratie durch rein fiskalische Aufteilung des Gräberfeldes, das
man, genau wie damals auch die Städte, mit dem Lineal auf dem Reißbrett in
Rechtecke zerlegte, den Friedhofsanlagen in ihrer Gesamtheit den leßten Rest von
Stimmung geraubt.
Nachdem bereits der ausgezeichnete Münchner Baurat Grässel in seinen muster-
gültigen Friedhöfen durch Zusammenfassung kleinerer Gräberabteilungen mit
umrahmenden Hecken, Beseitigung der abscheulichen, die Bodenfläche zerstückelnden
Steinschwellen der Einzelgräber und Aufstellung der Denkmale in fortlaufender
Rasenfläche wieder einen würdigeren Rahmen für die Arbeit des Grabmalkünstlers
gesdraffen hatte, trat die Wiesbadener Gesellschaft für bildende Kunst 1905 mit
ihrer Ausstellung zur Hebung der Friedhofkunst in die Bewegung ein. Die Reform-
bedürftigkeit der einzelnen Grabmäler selbst und deren Aufmachung auf der Grab-
stätte war es, der vor allem ihre Tätigkeit gelten sollte. Dies Problem lag freilich
weit schwieriger, denn hier genügte es nicht, durch ein einmal gegebenes Beispiel
einer kleinen Gruppe von Fachleuten — den Stadtbauräten — die Augen zu öffnen,

428
 
Annotationen