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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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anschlieljt, vermiet man eine persönliche Stellungnahme
zum Entwicklungsgang Meyerbeers. Hier wird die
nächsten Sommer erscheinende Dissertation Hugo Stre-
iters Klärung schaffen und das nachmalige seelische
Nachlassen des Frühreifen erst bedauern lassen.
Dr. JAMES SIMON.


RUDOLF BERNAUER: »DIE FORDERUNGEN
DER REINEN SCHAUSPIELKUNST«. (Erich Reih
Verlag, Berlin.) In dieser jüngst erschienenen Schrift
hat Rudolf Bernauer eine systematische Theorie der
Schauspielkunst aufgestellt. Wenn ein Theaterfachmann,
über reidre praktische Erfahrung verfügend, die Probleme
der reproduzierenden Kunst des Schauspielers in dem
streng logisdien Gedankengang eines erkenntnistheo-
retischen Versudies abhandelt, kommt ein Buch zustande,
das über Wesen des gegenwärtigen Theaters GrundsäW
liches sagen, seine Mängel ursächlich durchforschen und
einen Ausblick auf künftige Entwicklung geben wird.
Von der Einteilung der Künste in solche schöpferischer
und nachbildender Art geht Bernauer aus. Zur ersten
Gruppe redinet er Diditung, bildende Kunst und Musik,
zur letzteren aber Übersetzung aus fremden Sprachen,
Kopieren malerisdier und plastisdier Originale sowie
Musikspiel. Allein die Schauspielkunst läljt sich in
dieses Sdiema nicht einfiigen; denn obwohl reprodu-
zierend, ist sie nicht einfadi Nachbildung des Dicht-
werkes. Um ein gemeinsames Objekt für die parallel
laufende, aber nicht wesensgleiche Kunst des Dramatikers
und des Schauspielers zu erreichen, führt Bernauer den
Begriff der „reinen Schauspielkunst“ ein, die sich
vorerst nur an das dichterische Empfinden des Mimen
wendet: Der Darsteller soll das Werk erfassen und
begreifen als ein künstliches Ganzes, das eigene Geseke
in sich trägt. Er soll an die Konzeption gehen nicht
vom beschränkten Blickpunkt seiner Rolle, vielmehr von
den großen Zusammenhängen der Dichtung aus; nur
indem er alle ihre Teile in sich aufnimmt, zu der von
ihm verkörperten Person in Beziehung bringt, wahrt
er die didrterische Eigentümlichkeit und den geistigen
Gehalt. Der Schauspieler hat die Pflicht, vor praktisdier
Ausübung des Spieles sidi in die Spradre des Diditers
einzufühlen. Das Werk birgt den Rhythmus einer
Melodie, die dem Dichter im Augenblick der Intuition
offenbar wurde, der Darsteller muh sie heraushören
und dem Zuschauer durdr sein Spiel vernehmlidr madien.
So ergibt sich aus innerer Notwendigkeit der Stil.
Widitig ist ganz besonders, was Bernauer über die
Wege zur Menschcndarstellung sagt. Alles soll ver-

mieden werden, was — ein heute nodi weitverbreiteter
Fehler — der Natiirlidikeit, Wahrheit und Menschlidr-
keit widerspridit, also Pathos, Verzerrung der Lippen,
der Gesichtszüge, übertrieben sdiarfe Artikulation,
äußere Karikierung der Wesensart (etwa des Schleidiers,
des Intriganten, des Sentimentalen). Sobald eines
dieser Mittel der Theaterkonvention angewandt wird,
geht der Eindruck verloren, als sei das einzelne Wort
jeweils aus dem einzelnen Augenblick heraus gezeugt
worden. Menschlichkeit ist zu fordern audi für alle
symbolisch gedachten Rollen, mit denen der Diditer
eine Idee, etwa den Inbegriff des Guten oder Bösen
auf die Bühne stellt. Die Darstellung mu| ebenso im
Kostüm vergangener Zeiten den Menschen durdisdreinen
lassen und die ewige Wahrheit des Lebens. Der
Zuschauer lä£t sidi ersdiiittern immer nur durdr die
Schicksale von Mensdren, deren seelisdie Struktur
seinem eigenen Wesen irgendwie gleidit. Die ange-
strebte Wahrheit der Menschengestaltung soll nun
auch mit der vom Diditer gewollten Wahrheit über-
einstimmen. Ausgleidi zwischen beiden geschieht durdi
tätige Anpassung des Sdiauspielers an das Werk,
dah die Folge der Worte und Satzverbindungen von
lebendigem Blut durchströmt, zur Unmittelbarkeit der
gesprodienen Rede umgebildet werde.
Da der Schauspieler vom Spiel eines jeden anderen
Mitwirkenden abhängig ist, muh sich über die Einheit
der Einzelrolle hinaus nodi eine weitere, umfassende
Einheit ergeben. Jeder Schauspieler muh mit seinem
Partner zusammenspielen in der vom Wesen der Diditung
bestimmten Art. Erst innere Beziehung zwischen allen
Mitwirkenden bringt Einheit in die Gesamtstimmung
einer Szene, wie sdiliefffidi aus dem einheitlichen Zu-
sammenstimmen aller Szenen die Gesamtwirkung des
Werkes resultiert.
Was mir an Bernauers Buch das Wertvolle bedeutet,
ist die eindringliche Formulierung und die logische
Aneinanderreihung der Probleme. Vieles schon Be-
kannte zeigt in der Folgerichtigkeit seiner Theorie ein
ganz neues Gesidit. Diese Theorie aber ist nie um ihrer
selbst willen da (ein wenig zu ausholend scheint nur
der erste, vorbereitende Teil), sie ist entgegengewandt
stets dem praktisdien Ziel der ausübenden Kunst. Das
Budi muhte einmal gesdirieben werden, als wegweisend
in der Vielfältigkeit und Verworrenheit der Anschauungen
von Bühne, Inszenierung und Spiel, die heute riditungslos
durdieinander kreuzen. Nun ist ein Fundament gegeben,
auf dem alle weitere Theorie der Schauspielkunst auf-
zubauen wäre; und hat der denkende Schauspieler sich
diese Grundgesetze in ihren Zusammenhängen und ihrer
Ursächlichkeit einmal zu eigen gemacht, wird audr seine
ausübende Kunst reidffichen Vorteil davon haben.
HEINRICH LEIS.

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