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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Beyer, Oskar: Der Plastiker Barlach
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0508

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DER PLASTIKER BARLACH

OSKAR BEYER

Barlach gehört zu jenen großen prophetischen Ruhestörern der neueren Kunst-
entwicklung; deren Wirken, weit entfernt eine nur ästhetische Angelegenheit
zu sein, im Grunde gegen das ganze Gebäude der westlichen Zivilisation
gerichtet war: durch und mit seinen Gestalten brach ein Barbarisches, Östliches
herein, das zugleich ein schlechthin Menschliches und Kosmisches bedeutete, sie
waren Symbole einer völlig andersartigen Kulturgesinnung, einer Einheit der
menschlichen und irdischen und geistigen Dinge, wie sie dem Westen Europas
fremd geworden war, waren Ausdruck einer ungewohnten Macht des Geistigen,
der ein nicht minder ungewohntes Formgefühl restlos entsprach* Auf seine deutschen
Zeitgenossen mußte er um so rätselhafter, ja unheimlicher wirken, als er nicht etwa
ein Renegat des deutschen Geistes geworden war, um den Osten preisen zu können,
sondern ohne starke germanisch-volkstümliche Stilelemente nicht der gewesen wäre,
der er tatsächlich war. In der Wirkung seiner Werke auf die Masse der Kunst-
gebildeten ist eine zwingende Logik: es konnte gar nicht anders sein, als daß sie
Befremden, Schrecken, Ablehnung, Empörung weckten, oder daß man sie zu um-
gehen, zu übersehen suchte; nur sehr wenige gab es, die erkannten, daß hier eine
ganz elementare Formbegabung und eine ganz einzigartige plastische Begabung
am Werke war. Sein äußeres Schicksal formte sich haarscharf entsprechend seinem
inneren, seiner geistigen Anlage — diesem von Natur schon Einsamen, Absonder-
lichen in des Wortes eigenster Bedeutung wurde das typische Schicksal des Unzeit-
gemäßen zugeteilt, weit- undmenschenfremd, bedrängt von unaufhörlichen Gesichten,
lebt er irgendwie und irgendwo, abseits vom großen Getriebe, man weiß nie etwas
Sicheres über ihn, sieht nur selten ein Gebilde seiner Hand, noch lebend ist er
fast zur mythischen Figur geworden.
Im Gegensaß zu vielen, ja vielleicht den meisten der heute umstrittenen Künstler,
deren literarische Würdigung einer Tagesinteressiertheit entspringt und entspricht,
rechtfertigt Name und Bedeutung Barlachs, heute von Menschen aller künstle-
rischen Richtungen überraschend deutlich empfunden und anerkannt, jeden nur
irgend ehrlichen Versuch seiner Vergegenwärtigung — diesen Barlach auch nur
einigermaßen klar zu übersehen ist für die, die er überhaupt angeht, von unbe-
schreiblicher Wichtigkeit. Man weiß vielleicht, daß er einem nordischen, holsteinischen
Geschlecht (vermutlich einem Bauernstamme) entwachsen ist, daß er viel unter Bauern
lebte, daß er, ungefördert durch akademisdie Methoden, jahrelang fruchtlos blieb
und auf sich selbst, auf sein Werk gewartet hat. Sein Schicksal ergriff ihn schließlich
und führte ihn, den schon gereiften Mann, auf kurze Zeit nach Rußland, und erst
seit diesen russischen Wochen gibt es den Bildhauer Barlach, ohne Rußland wüßte

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