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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Rottger, Karl: Shakespeare und die unendliche Landschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0531

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Als sie andern Tags Abschied nahmen, die drei, war es in ganzer Herzlichkeit.
Vom Wiedersehen sprach niemand.
Zwei bestiegen die Pferde und ritten fort, ohne umzusehen. Der Dritte sah ihnen nach.


Es war ein Frühlingstag von unaussprechlicher Leichtigkeit und Milde, als Shake-
speare in der Landschaft stand und ihm die Stunde ins Ungeheure wuchs.
Und er erkannte: Sterben, Tod und Auferstehung, alles in einem. Und erkannte
es an sich selber. Und war beruhigt davon und ohne Furcht, obschon er fühlte,
clab des Irdischen Ende nahe war. In ganzer Reinheit und Weisheit erkannte er
sich und wul^te: niemand konnte das mit ihm wissen und begreifen — wie er über
alle Menschen hinaus und auf einer andern Ebene schon sei und dab er da ganz
allein stehe. Ganz allein. Und dab nur deswegen noch ein leichtes Schmerzgefühl
in ihm sei (das aber auch bald überwunden werde), weil er nodr als ein Mensch mit
menschlichem Leibe auf menschlichem Boden weile. Eine milde Helligkeit des
Frühlings lag über der Landschaft, und er gedachte bis in den Abend in ihm zu
bleiben. Damit er fühle, ob es sich an ihn ansehe wie Schwingen des Lichts, und
er die Sterne, hinter Sonnenuntergang, kommen fühle.
Er sprach: „Nun erst ist lebte Reife. Alle Welf lege ich ab, wie ein Kleid, und
stelle mich nackt in den Raum, Ist Gott? Raum ist, unendlicher Raum und unend-
liche Zeit. Ich begehre hinweg — das ist mein Schmerz, dab ich es nicht wubte.
Das ist nun lehter Ruhe Beginn, dab ^ es W(2ib und nicht verneine.
Zwischen Schlaf und Wachen hat das Leben gependelt. Nun dünkt mich ein kurzer
Schlaf an der Zeit, und danach eine lange holdselige Auferstehung. Ich mub wohl
vertrauen.“
Er schritt dahin, am Flub entlang und zwischen grünenden Wiesen, Als liebe er
alles dahinten. Die nächsten Menschen, Weib und Kinder und Kindeskinder ....
Als sei das nicht seine Unendlichkeit, was er hinterlieb, dem Leibe nach, sondern
das, was vor ihm — sich ihm verhieb, dem Geiste nach. Erste Freude entkeimte.
Eine erste Trunkenheit, die er von ferne gefühlt, wenn er die Verse der Dramen
schrieb, deren Tiefe ihn erschauert hafte. Aber hier die Tiefe der Himmel und des
unfergehenden Lichts ersdrauerten ihn nicht. Ein Lächeln begann auf seinem
Gesicht, wie er es ersehnt hatte, seit er London verlieb, doch nicht gefunden.
Er stand einmal still und reckte die Arme hoch und breitete sie aus. Noch einmal
rief er schmerzlich hinauf: „Zeiget eudr hervor — idr begehre der neuen Gemein-
schaft .... Ich bin den Menschenweg gegangen jenseits der Religionen, ganz den
Menschen weg. Tut auf, — zeigt gröberen Raum, hebet diese Ebene mit mir hin-
auf, — hinauf .... Mir wird zu enge in menschlicher Gestalt.“
Und da geschah es, dab über der Abendsonne, da sie untern Horizont sank, ein

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