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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Stotz, Gustav: Stuttgarter Architektur und Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0581

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wunderlich, daß sich aus einem Kreis starker und anziehender Persönlich::
keiten ein frischer Nachwuchs entwickelte, der zu mancherlei und mitunter
recht großen Hoffnungen berechtigt. Aber welche Tragikl Nicht nur daß
der Krieg Viele um vier der schönsten Jahre gebracht hat — der unglückliche
Ausgang raubt ihnen noch das für ihre weitere Entwicklung Nötigste: den
Auftrag. Ist sich der Staat, sind sich die Städte hier ihrer tiefsten Verant-
wortung bewußt? Sollen die schöpferischen Kräfte einer Jugend voll der
anregendsten, lebendigsten Gedanken und neuzeitlichem Geiste tief verbun?
den ungenützt verderben und verfaulen? Wer will hier eine schwere Schuld
auf sich laden? Wer will hier den Weg versperren?
Nicht mehr beschwert mit dem Erbe einer lastenden Tradition geben sich
die Jungen restlos dem Zeitgeist hin, suchen ihn ganz rein zu erfühlen und
ihn und seine Forderung mit zeitgemäßen Mitteln, zeitgemäßer Technik zu
gestalten. So Keuerleber in dem Ausstellungsgebäude, das 1914 schon ent?
standen ist oder Docker in dem Modell einer Kirche in Eisenbeton. Der
Raumgedanke dieses Bauwerks geht von der Stellung der Kanzel im Chor
aus: von hier aus strahlt das Wort in den Raum, der sich entsprechend
strahlenförmig erweitert, bis sich ihm im Turm ein starker Halt entgegen?
stellt. Dieser Raumgedanke findet in dem von Docker gestalteten Baukörper
sichtbare Verwirklichung. Die Konstruktionsform liegt offen zu Tage;
die Art ihrer Verwendung erhebt sie zur Kunstform, die eine eigenartig?
reizvolle Wirkung ausübt.
Es müßten noch manche genannt werden, die berufen sind kommende Bau?
aufgaben mit großem Können und starker Eigenart zu gestalten. Der Rahmen
dieses Aufsatzes ist jedoch zu eng um jeden Einzelnen nennen zu können. —
Die Persönlichkeit, die berufen war, die Entwicklung des Stuttgarter
Kunstgewerbes in moderne Bahnen zu lenken, war Bernhard Pankok,
einer der Führer der modernen Bewegung überhaupt. Er hat schon früh?
zeitig das Handwerkliche und den Werkstättengedanken als die Grundlage
erkannt, auf der allein eine gesunde Erneuerung des Kunstgewerbes ermög?
licht werden konnte. War er als künstlerische Persönlichkeit eminent an?
regend durch die blühende Phantastik seiner Schöpfungen, so scheint mir
sein größtes Verdienst doch darin zu liegen, daß er es gegen starke Wider?
stände vermocht hat, den Werkstättengedanken im Neubau der Kunstge?
werbeschule (eine Arbeit der Architekten Eisenlohr & Pfennig) in vor?
bildlicher Weise zu verwirklichen.
Auch Karl Pullich's Arbeiten sind aus dem Geist des Handwerklichen
gestaltet. Aber während Pankok eine Formenwelt wuchernden, fremdartigen
und doch reizvollen Charakters schafft, knüpft Pullich an die höchsten
Leistungen handwerklicher Tradition an, die er mit neuzeitlichem Geiste
erfüllend weiter entwickelt und neu belebt.

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