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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Osthaus, Karl Ernst: Rodin
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0630

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R O D I N
KARL ERNST OSTHAUS f
Seitdem ich Rodin kannte, und das mag um 1901 oder 02 gewesen sein,
traf man ihn an einem bestimmten Wochentage in seinem Pariser Ate*
lier. Ich habe, so oft ich in Paris war, niemals verfehlt, ihn aufzusuchen.
Das Atelier lag in der Universitätsstraße, nahe dem Eifelturm. Man trat
durch einen Torweg in einen geräumigen Hot, wo eine Menge von Mar?
morblöcken umherlag. Der Meister bewegte sich unter ihnen, nicht selten
in Gesellschaft von Besuchern. Er war stets bereit, seine Werke zu zeigen,
und trat mit ein in das hohe Atelier, in dem die Bildhauerarbeiten dicht
gereiht standen. Er ließ hier seine Modelle durch Gesellen ausführen. Selbst
habe ich ihn nie den Meisel führen sehen; er beschränkte sich darauf, mit
dem Bleistift Stellen am Marmor zu bezeichnen, wo die Arbeit nicht nach
seiner Absicht war. Dabei klagte er oft, daß es keine guten Bildhauer mehr
gebe. Wer ihm als ernsthafter Freund seiner Kunst bekannt war, durfte auf
eine Einladung nach Meudon rechnen. Dort, an der höchsten Stelle des
Hügels, den das Seine?Städtchen bedeckt, stand inmitten eines Gartens die
eigentliche Werkstatt seiner Kunst. Hier entstanden seine Modelle. Der Ort
war schön gewählt. Die Aussicht auf den Strom und die gartenreichen Vororte
von Paris erhielten einen eigenartigen Akzent durch die lebensgroße Buddha?
figur, die vorn im Garten aufgestellt war. In Meudon fand man keine Mar?
morarbeiten. Dafür war der große Atelierraum mit Gipsabgüssen der meisten
Werke des Meisters gefüllt. In Nebenräumen stieß man auf Fragmente ägyp?
tischer und griechischer Arbeiten, hier einen Sperber, dort die Hand einer
Statue. Rodin griff wohl nach ihr und wies auf das herrliche ihrer Arbeit hin.
Ihm genügte die Klaue, um den Löwen erstehen zu lassen. Doch war es viel?
leicht auch sein Verhängnis, daß er zu sehr an den kleinen Beziehungen
haftete. Die leiseste Bewegung der Oberfläche versetzte ihn in Entzücken.
»C’est tout beaute«, rief er aus, indem sein Auge den Zug einer Ader unter
der Haut liebkoste.
Es war nicht leicht, Rodin an einen dritten Ort zu bringen. Nur einmal
folgte er meiner Einladung zum Frühstück bei Marguery. Es ist mir in Er?
innerung geblieben, wie sehr ihm mein Einfall, Champagner über Wald?
erdbeeren zu gießen, Vergnügen bereitete. Ein Lächeln glitt damals über
seine Züge, das den Genießer entlarvte. Er lächelte wie ein Augur. Und
dieses Lächeln berührte mich so stark, weil es eine Schale von Resignation
und geläuterter Bitternis durchbrach. Rodin war geboren, Schönheit zu
fühlen und Schönheit zu geben. Aber die Zeit legte sich wie ein Alp auf das

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