Die zweiaktige Oper »Prinzessin Girnara«, des Künstlers reifstes und größtes
Werk, ist in den Jahren 1918/19 entstanden. Sie verwendet einen Text Jakob
Wassermanns, nach einer altindischen Legende, die der Dichter als Schluß*
kapitel seines Romans »Christian Wahnschaffe« schon in Prosa dargestellt
hatte. Das Problem liegt ähnlich, wie in der »Diana«: Eine innere Erleuch*
tung der Heldin, hier auf der Bühne durch das Erscheinen Buddhas ver*
anschaulicht. Die Prinzessin ist infolge einer Schuld ihres Vaters in ab*
schreckender Häßlichkeit geboren worden, und wird in ihren dunklen
Gewölben von Dämonen gepeinigt. Ein fremder Prinz, der von Girnara
gehört hat, wirbt um die Unerschaute aus Ehrgeiz. Bei ihrem Anblick be*
fällt ihn lähmendes Grauen, so daß er allein zum Hochzeitsmahle geht.
Das Hofgesinde, begierig den Grund des Fernbleibens der Prinzessin zu
erkunden, entreißt dem Willenlosen die Schlüssel zu ihren Gewölben. In*
zwischen hat sich aber Girnaras innere Einkehr vollzogen, die Dämonen
sind vor dem Glanze Buddhas entwichen, und der erstaunte Hofstaat findet
die Erlöste in strahlender Schönheit. Auch der Prinz ist durch das Wunder
innerlich geläutert.
Alle stilistischen Errungenschaften der verschiedenen Schaffensgebiete sind
in diesem Werke vereinigt. Zarte lyrische Stimmungen wechseln mit starken
dramatischen Akzenten. In den Dämonenszenen werden groteske Töne
des Grauens angeschlagen. Die Gesamtanlage der Oper fußt zwar auf Leit*
motivtechnik, ohne aber Wagners Stil und Instrumentation irgendwie nach*
zuahmen. Im Orchester werden individuelle solistische Wirkungen vorteil*
haft verwendet. Es fehlt nicht an klanglicher Kraft, obwohl die Musik
nie lärmend wird. Besonders reizvoll ist die Bühnenmusik. Als Tafelmusik
beim Hochzeitsmahle gedacht, durchzieht sie fast den ganzen ersten Akt;
das orientalische Kolorit ist in ihr besonders glücklich festgehalten. Das
Werk ruft im Hörer jene Katharsis hervor, welche die Griechen von ihren
Dramen verlangten: kein Blutrausch, wie bei den Verismen Puccinis, kein
Kunstwerk der stupenden Technik, wie bei Richard Strauß, sondern ein
reines Wirken nach innen.
Durch die Aufführungen der letzten Zeit wurde der Name Egon Wellesz
von selbst in das Licht einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Er selbst aber
lebt, unberührt von äußerer Zustimmung oder Ablehnung, in Ruhe seinem
Werke weiter.
♦
617
Werk, ist in den Jahren 1918/19 entstanden. Sie verwendet einen Text Jakob
Wassermanns, nach einer altindischen Legende, die der Dichter als Schluß*
kapitel seines Romans »Christian Wahnschaffe« schon in Prosa dargestellt
hatte. Das Problem liegt ähnlich, wie in der »Diana«: Eine innere Erleuch*
tung der Heldin, hier auf der Bühne durch das Erscheinen Buddhas ver*
anschaulicht. Die Prinzessin ist infolge einer Schuld ihres Vaters in ab*
schreckender Häßlichkeit geboren worden, und wird in ihren dunklen
Gewölben von Dämonen gepeinigt. Ein fremder Prinz, der von Girnara
gehört hat, wirbt um die Unerschaute aus Ehrgeiz. Bei ihrem Anblick be*
fällt ihn lähmendes Grauen, so daß er allein zum Hochzeitsmahle geht.
Das Hofgesinde, begierig den Grund des Fernbleibens der Prinzessin zu
erkunden, entreißt dem Willenlosen die Schlüssel zu ihren Gewölben. In*
zwischen hat sich aber Girnaras innere Einkehr vollzogen, die Dämonen
sind vor dem Glanze Buddhas entwichen, und der erstaunte Hofstaat findet
die Erlöste in strahlender Schönheit. Auch der Prinz ist durch das Wunder
innerlich geläutert.
Alle stilistischen Errungenschaften der verschiedenen Schaffensgebiete sind
in diesem Werke vereinigt. Zarte lyrische Stimmungen wechseln mit starken
dramatischen Akzenten. In den Dämonenszenen werden groteske Töne
des Grauens angeschlagen. Die Gesamtanlage der Oper fußt zwar auf Leit*
motivtechnik, ohne aber Wagners Stil und Instrumentation irgendwie nach*
zuahmen. Im Orchester werden individuelle solistische Wirkungen vorteil*
haft verwendet. Es fehlt nicht an klanglicher Kraft, obwohl die Musik
nie lärmend wird. Besonders reizvoll ist die Bühnenmusik. Als Tafelmusik
beim Hochzeitsmahle gedacht, durchzieht sie fast den ganzen ersten Akt;
das orientalische Kolorit ist in ihr besonders glücklich festgehalten. Das
Werk ruft im Hörer jene Katharsis hervor, welche die Griechen von ihren
Dramen verlangten: kein Blutrausch, wie bei den Verismen Puccinis, kein
Kunstwerk der stupenden Technik, wie bei Richard Strauß, sondern ein
reines Wirken nach innen.
Durch die Aufführungen der letzten Zeit wurde der Name Egon Wellesz
von selbst in das Licht einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Er selbst aber
lebt, unberührt von äußerer Zustimmung oder Ablehnung, in Ruhe seinem
Werke weiter.
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