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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Bagier, Guido: Hermann Kesser: zur Einführung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0652

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HERMANN KESSER

ZUR EINFÜHRUNG

en in diesem Hefte enthaltenen Beiträgen des Dichters Hermann Kesser seien einige


JL>/erläuternde Worte vorausgeschickt, nicht um die Wesensart, die Richtung des Wollens
zu erklären, — dies dürfte so klaren Werten gegenüber überflüssig scheinen; — es sei ganz
allgemein festgestellt, was die Persönlichkeit Kessers uns bedeutet. Der Dichter begann als
Dramatiker mit der dreiaktigen Tragödie »Kaiserin Messalina«. Nicht diese, in Mannheim
uraufgeführt, machte ihn weiteren Kreisen bekannt, sondern ein Novellenband, anhebend
mit der Erzählung »Lukas Langkofler«, neben zwei bedeutungsloseren Stücken die Novelle
»Der Fremde« enthaltend. In dieser Prosa zeigte sich schlagartig die ganze Kraft des Dichters,
seine Fähigkeit in geradezu klassischer Konzentration ein Geschehen logisch ablaufen zu
lassen, Milieu, Nebenfiguren einem höheren Sinn unterzuordnen, neben aller Helle und
Durchsichtigkeit ein ganz bestimmtes Etwas beizumengen, das, werde es mystisch oder roman*
tisch empfunden, als wesentliches Erlebnis zurückbleibt und sich als bedeutsame Eigenart
herausbilden sollte. Die dramatische Dichtung »Summa summarum«, vorzüglich aber der
»Roman aus der vorletzten Zeit« »Die Stunde des Martin Jochner« zeigen jenes Element
bewußt entwickelt und zu hinreißender Eindringlichkeit gesteigert. Die Handlung des
»Martin Jochner« drängt sich auf vierundzwanzig Stunden zusammen. Innerhalb dieses
Rahmens wird nicht nur die ganze Vorgeschichte mühelos eingefügt, sondern zugleich die
zerfaserte Psyche des Helden inmitten eines turbulenten Getriebes von Journalistik, Kriegs*
gefahr, gesellschaftlichen Ränkespiels, fraulicher Gefallsucht, eifersüchtiger Hemmungen,
geschlechtlicher Triebhaftigkeit, beruflicher Nebenbuhlerschaft intuitiv geformt. Die Zwi*
schenstufen des Bewußtseins ergeben eine zweite, unterirdische Handlung, äußerlich gekenn*
zeichnet durch eine sprunghafte, hastig zerstiebende Sprache, durch jähes Abreißen der Ge*
dankenreihe, die das konkrete Geschehen in einen seltsamen Nebel hüllt, die scheinbare Zu*
fälligkeit der Gestalten zum Symbol, zum Typ schlechthin erhebend, — ein Zeichen echter,
schöpferischer Kraft. Das Drama »Die Brüder«, in diesem Jahre zu Wiesbaden uraufgeführt,
beschäftigt sich scheinbar mit politischen Problemen: zwei geschwisterlich verbundene
Männer vertreten das kapitalistische und ideelle Prinzip, vernichten sich über die Bande des
Blutes hinweg. Leider ist Hermann Kesser in diesem Stück nicht der Gefahr entgangen, weit*
anschaulichen Erörterungen zuliebe den straffen Gang der Handlung zu stören. Auch hier
wird das Wertvolle in der Darstellung des Psychischen, in der nervösen Verflechtung der
Wirklichkeit mit unterbewußten, aber entscheidenden Kräften zu suchen sein. Zwei Eigen*
schäften weisen Kesser überdies besonderen Rang inmitten der zeitgenössischen Dichter an:
seine Fähigkeit, historische Unterlagen intuitiv zu allgemein gültigen Stoffen zu erheben;
sodann sein Bemühen, den Stil der Darstellung von allem Modischen, Zufälligen oder Ent*
arteten fernzuhalten, die Sprache mit Ehrerbietung und warmer Zärtlichkeit zu handhaben.
Zahlreiche Essays über künstlerische Zeitfragen gehen dank dieses Ernstes weit über den
Begriff von Gelegenheitsarbeiten hinaus: sie sind Muster durchdachten Inhalts und ver*
geistigter Form. Q. B.

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