1975
rechte Seite, das gemalte und das geschriebene
Blatt einen einzigen zusammenklingenden Ein*
druck bilden, der den Sinn des betreffenden
Textes ausdrückt.
Es ist klar, daß bei einer Wiedererweckung der
Bilderhandschrift von der Schrift nicht aus*
gegangen werden konnte, zumal im Laufe der
Jahrhunderte die künstlerischePotenzdesSchrei*
bens immer mehr gesunken ist, die des Malens
sich gehoben hat. Der mittelalterliche Mönch
fühlte sich keineswegs als Künstler, der Künst*
ler von heute sieht in sich die schöpferische Per*
sönlichkeit. Es wäre also unmöglich gewesen,
einen Künstler zu finden, der sich bei der An*
fertigung der Illustrationen dem Geiste der
Schrift angepaßt hätte. Bejaht man also über*
haupt die Anfertigung von Bilderhandschriften
in unseren Tagen, so muß man auch bei ihnen
das Primat des Bildes bejahen, wie es August
Kuhn verlangt.
Mit großem und besonders zu lobenden Idea*
lismus ist August Kuhn an die von ihm unter*
nommene große Aufgabe herangegangen. Vier
Bilderhandschriften sind bis jetzt in seinem
Verlag erschienen: Die Enthauptung Jo*
hannis des Täufers mit 5 Deckfarben*
gemälden von Willy Jäckel, Schrift von
GreteRatschitzky, letztere ganz ein tastender
Versuch, durch reine Ornamentierung die Ver*
Schmelzung von Textseite und Bild herbei*
zuführen, während die Schrift ruhig bleibt. Dann:
der barmherzige Samariter mit 5 Deck*
farbengemälden von Erich Waske, Schrift
von Rudolf Koch und die vierzehnblättrige
Matthäus*Passion, gleichfalls von Willy
Jäckel, Schri ft von RudolfKoch. In beiden
letzteren istdie Kuhnsche Absicht weitgehendst
verwirklicht. Ganz im Geiste der prachtvollen
starkfarbigen von unzweifelhafter Monumen*
talität erfüllten Bildern des Malers ist der Text
bewegt. Der Charakter der Schrift wechselt auf
jedem Blatt, flammt erregt, ist stolz, beruhigt,
je nachdem es der Sinn zu verlangen scheint.
Vor geraumer Zeit hat August Kuhn den Ge*
danken der Illustration der gesamten Bibel
auch noch auf eine andere Weise zu verwirk*
liehen begonnen,nämlich durch die Herausgabe
von Steinzeichnungspublikationen. Den
Anfang machte die schon recht bekannt gewor*
dene sechzehnblättrige Matthäus? Passion
von Willy Jäckel, in der dieser wesentliche
Künstler zum erstenmal seinen tiefen Christus*
typus geschaffen hat. Neuerdings hat der Ver*
lag die sechzehn Steinzeichnungen Erich
Waskes zur Geschichte des Simson heraus*
gebracht. Alfred Kuhn
Anmerkung der Schriftleitung
Die Beiträge dieses Heftes mögen als allgemeine Würdigung badischer Kunst
aufgefaßt werden. Wir bedauern, bei aller Sympathie und trotz des besten Willens
in diesem Heft von einer besonderen Würdigung der zeitgenössischen badischen
Kunst absehen zu müssen, weil es angesichts der gegenwärtigen Situation in Karls-
ruhe naheliegend schien, daß jedwede sachliche Darstellung von irgendeiner Seite
Protest oder Mißdeutung erfahren würde. Diese Einsicht, bestärkt durch Wirkun-
gen der Hefte » Wiesbaden« und »Stuttgart«, zwingt uns, in Zukun ft derartige Son-
derheft e außerhalb der regelmäßigen Heftfolge, für jeden Abonnenten zu einem
Vorzugspreis, herauszugeben. An anderer Stelle legen wir die Gesichtspunkte dar,
die für uns im beginnenden dritten Jahrgang des »Feuer«- maßgebend sein werden.
In diesem Zusammenhänge sei hiermit auf jene Erklärung besonders verwiesen.
HERAUSGEBER ÜND VERANTWORTLICHER SCHRIFTLEITER DR. GUIDD BAGIER IN WIESBADEN, FRESENIUSSTRASSE 17,
FERNRUF 1572. VERLAG: FEUERVERLAG WEIMAR / BOCHUM GMBH. IN WEIMAR / DRUCK: HOF»BUCH» UND »STEIN«
DRUCKEREI DIETSCH &. BRÜCKNER IN WEIMAR/ NACHDRUCK VERBOTEN / ALLE RECHTE VORBEHALTEN /EINSENDUNG
VON MANUSKRIPTEN NUR AN DIE SCHRIFTLEITUNG FEUER IN WIESBADEN UND NUR NACH VORHERIGER ANFRAGE.
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