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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 6.1895

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Dankwardt, L.: Liberty-Waaren
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https://doi.org/10.11588/diglit.6759#0240

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Seite s82.

Zllustr. kun st gewerkt. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

November-^eft.

MiverLy-^Maaren,

von L. Dankwardt.

etwa zehn Jahren, vielleicht auch schon etwas früher, pflegte
sich der Dunolr, die „Fliegenden Blätter" von England, über
die Anfänge einer Bewegung des Kunstgeschmacks im Publikum
lustig zu machen, die unter der Bezeichnung „üiKÜ nrt" oder
„nssttistionl" bekannt wurde. So gab es z. B. eine Zeichnung, welche ein
Brautpaar darstellte, dem eine alte Dame den Segen zur ehelichen Verbindung
ertheilt. Die alte Dame und das junge Mädchen hatten ihre Hüte mit
Pfauenfedern gespickt, die in allen Windrichtungen hin und herflatterten, und
die gute, alte Tante begründete ihre Segenswünsche damit, daß die jungen
Leute in äsur olä LsnsinZton leben wollten, wo das Leben so billig wäre,
daß die Pfauenfedern nur
;o deutsche Pfennige das
Dutzend kosteten. Ls gab
auch Glückwunschkarten, die
diese Richtung mit zierlichen
Kats Ovssnaveny - Figür-
chen und Versen verhöhnten,
in denen z. B. die Steige-
rungsformel „äußerstlichst
äußerst vollendet — zu —
zu" u. dgl. blühender Blöd-
sinn vorkam. Die Geschichte
mit den Pfauenfedern ka-
rakterifirte aber die Lewe-
gung nach der wirthschaft-
lichen Seite hin am besten.

Ls war der Kunstgeschmack
des „stiukb^ KsntssÜH mit
dem man hier zu thun
hatte, es waren Leute, die
mit geringen Mitteln vor-
nehm thun wollten und
deshalb aufUngewöhnliches
verfielen: Rausten die Mil-
lionäre Sövres und Wor-
cester Porzellan, große chine-
sische Vasen und persische
Teppiche, so hielten sich die
Aesthetischen an Schweizer
Thonwaaren, Delfter Ka-
cheln, chinesische Matten
und gelegentlich ein Stück
Meißener Zwiebelmuster.

Sie bemalten auch wohl
bisweilen einen Fleisch-
extrakttopf mit einer großen
Sonnenblume, sie stickten
fleißig mit Lruvel (persischer
Wolle), kurz, sie machten aus
der Noth eine Tugend und
schließlich gewannen sie
daraus die sehr schätzens-
werthe Ligenschaft, das
Schöne von dem Prächtigen
unterscheiden zu können.

Englische Wohnhäuser sind
zu reich an guten kunstge-
werblichen Erzeugnissen, als daß nicht ein leidlich vornrtheilsfreies Auge
dort eine gute Schulung im künstlerischen Sehen gewinnen sollte. Der Reich-
thum des Landes macht die Frauen der gebildeten Klassen ganz unabhängig
von hauswirthschaftlichen Sorgen; sie beschäftigen sich in Folge dessen sehr
eingehend mit dem Schmuck ihrer Wohnräume. Kommt nun, wie bei den
„Aesthetischen", der Zwang zur Sparsamkeit hinzu, so verdoppelt sich die
Sorgfalt in der Wahl des Schmuckes und neben vielem Geschmacklosen und
Abstrusen entwickelt sich eine verständnißvolle Kundschaft für einfache
Dekorations-Erzeugnisse guten Stils. Aus den Kreisen der Aesthetischen
heraus finden sich denn auch die ersten Käufer für jene weichen, glanzreichen
indischen Rohseiden, die ein englischer Kaufmann Namens Liberty in London
aus den Markt brachte. Diese metallisch glänzenden Gewebe mit ihrem
fließenden, bruchlosen Faltenwurf paßten sich vorzüglich dem ästhetischen oder
IriAÜ nrt-Geschmack an, der in der Frauentracht durch die Kats Orsnurva^-
Figuren, also eine Art Empirekleidung, karakterifirt wird. Kaufte man von
diesem go oin breiten Stoffe ein Stück — die Stücke werden nur 6—r in lang
geliefert — so hatte man für 2 t Mark ein seidenes Kleid, das an Schmieg-

samkeit und echt künstlerischer Ausdrucksfähigkeit einem schweren Brockat
in manchem Punkt überlegen war. Des Weiteren kamen die vielen erker-
artigen Vorbauten, Nischen und Bogenfenster englischer Wohnzimmer in
Frage. Sie erfordern einen gewissen Abschluß gegen den Hauptraum; man
drapirt sie mit Vorhängen und Zuggardinen. Diese letzteren werden am
Abend geschlossen, um den Raum beim Schein der Lampe und des Kamin-
seuers kleiner und traulicher erscheinen zu lassen. Sind viele Gäste anwesend,
so beleuchtet man diese noolrs nnä oornors", diese Plauderwinkelchen

mit dem warmen, rosigen Licht von Wachskerzen, mit Ampeln, Glühlämpchen
u. dgl. m. Wie glücklich waren die Aesthetischen, wenn sie für 20—25 Mark
einen solchen Shawl indischer Seide erstehen konnten, der nicht starr und
trocken in Falten stand wie die appretirten Baumwollendrucke, die bisher
nur ihrer Börse zugänglich waren. Herr Liberty ließ bald seine Seidenstoffe
in England färben und man gelangte zu der Einsicht, daß hier eine Mannig-
faltigkeit der Töne zu er-
zielen sei, die in der ge-
samniten Textil - Industrie
ihres Gleichen sucht. Die
Eigenart, der Glanz und
die Schmiegsamkeit der Seide
wird durch das Färben nicht
beeinträchtigt; das Gewebe
erträgt jeden Druck ohne
brüchig und zerknittert zu
werden. Herr Liberty ging
nun noch einen Schritt
weiter. Er gewann Künstler
ersten Ranges zum Ent-
werfen von Farbendruck-
mustern für seine Stoffe.
Kein Geringerer als Walter
Traue hat einzelne von
diesen groß angelegten Blu-
men-Entwürfen hergegeben,
die den ganzen natürlichen
Reiz der lebenden Blume
wiedergeben, ohne den Stoff
zu behandeln, wie die kein-
wand auf der Staffelei des
Malers. War unter der
Vorherrschaft des franzö-
sischen Geschmacks das Stre-
ben des Musterzeichners für
den Zeugdruck auf größt-
mögliche Plastik in der Dar-
stellung der Natursormen
gegangen, so behielt man
in dem neuen Verfahren
den Umstand im Auge, daß
der Stoff eine verzierte
Fläche bleiben müsse. Es
wurde nicht mehr dasHaupt-
gewicht auf Natürlichkeit
in dem Sinne gelegt, wie
sie etwa der Anschauungs-
unterricht in der Volksschule
erfordert. Die Treue gegen
die Natur wurde in lieben-
der Hingabe an den Riß
der Zeichnung gewahrt; im
Uebrigen vermied man
plastische Vertiefung der Schatten. Die Schattirung siel zwar nicht weg, sie-
wurde auch nicht rein willkürlich eingefügt, aber sie blieb lediglich Mittel
zur Verdeutlichung der Form und zur Belebung der gesummten Fläche, deren
Wesen sie jedoch nicht aufhob. Außerdem wurden als Vorlagen jene indischen
Zeugdrucke herangezogen, deren harmonischer Reiz seit Jahrhunderten von
allen Kennern echter Künstlerschaft gepriesen worden ist. Auch von den Grab-
tüchern egyptischer Mumien hat man die Muster entlehnt, die mit der griechischen
Strenge der Zeichnung die Farbengluth des Morgenlandes verbinden.

Eine Ausstellung von modernen Jeugdrucken, welche im Berliner Kunst-
gewerbemuseum um Neujahr tSgH veranstaltet wurde, bot reichlich Gelegen-
heit, sich an den überraschenden Ergebnissen des neuen Strebens zu erfreuen.
Herr Moritz Busse, dem das Verdienst gebührt, die Liberty-Erzeugnisse in
Deutschland bekannt gemacht zu haben, hatte damals ein Portal des Licht-
Hofes mit Liberty-Seide drapiren lassen. Dieser große Baldachin veranschau-
lichte vortrefflich, welche reiche Wirkung, welcher kräftige, ausdrucksvolle-
Faltenwurf mit einem Gewebe erzielt werden kann, das leicht und fein genug
ist, um 6 —7 Meter davon in die Rocktasche stecken zu können. Das Busse'sche

Abbildung Nr. 245. Lamm mit Fliesen-Bekleidung und Metall-Montirnng.
 
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