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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 1
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Zervos, Christian: Raoul Dufy
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0058

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Reise nach Vence brachte Dufy zur Malerei nach
der Natur zurück. Nachdem gewisse Probleme
im Atelier gelöst waren, mußte er nun zur Natur
zurückkehren, um seine Fortschritte zu erproben.

Diese Rückkehr war ihm anderseits durch sein
Temperament geboten. In hohem Maße romantisch
veranlagt wie er war, riskierte Dufy, sein Werk,
abgelöst von der Natur, verkümmern zu sehen.
Durch eine erneute Berührung mit der Natur fand
er die Kontrolle seiner eigenen Instinkte wieder...

*

In Vence fühlt er sich unfähig, seine Bilder
nach den Sitzungen im Freien nochmals anzu-
rühren. Die Herrschaft, die die Gegenstände über
ihn gewinnen, geht damals so weit, daß jede Retusche
im Atelier sein Bild zerstört hätte. Kam er in der
Sitzung vor der Natur nicht zurecht, so war es
ihm unmöglich, sich - wie Corot — damit zu be-
ruhigen, daß er sich sagte, eine kurze Sitzung im
Atelier wird alles in Ordnung bringen. Er war
vollständig unfähig dazu. Daraus darf man nicht
folgern, daß Dufy den Wert der Arbeit im Atelier
verkannte. Seit der Zeit, da ihm, wie es oben
gesagt wurde, die Lehre Cezannes greifbar ge-
worden war, hatte Dufy gegen die unmittelbare
Beobachtung vor der Natur gekämpft, verlockt
durch die Abstraktion, deren hervorragenden Wert
er gespürt hatte.

Aber es war ihm unmöglich, seine Erfahrungen
seinem bewußten Wollen unterzuordnen. Dieses
wurde immer durch die impressionistische Welle
überflutet. Erst 1924 hat Dufy mehr und mehr
die Herrschaft über die Natur gewonnen. Aber
die Natur überrascht ihn noch und verführt ihn
zu Ungeschicklichkeiten. Um sich zu korrigieren,
kehrt er zum drittenmal zur Natur zurück. Die
Werke, die Dufy in dieser Zeit vollendet hat, legen
Zeugnis von einem friedlichen Kampf ab, von der
Bemühung, um die höchste Vollendung des Hand-
werks, die ihm die Freiheit geben soll, sich dem
übermächtigen Einfluß des Naturstudiums zu ent-
ziehen. Dank der vereinten Anstrengung des Natur-
studiums und der Arbeit im Atelier gelingt Dufy
im folgenden Jahre die Serie seiner Bilder im
Bois de Boulogne, in denen sich seine außerordent-
lich weit getriebenen Bemühungen bekunden, die

komplexesten und die subtilsten Spiele des Lichtes
auf den Dingen wiederzugeben. Um den be-
lichteten Stellen des Bildes die ganze notwendige
Bedeutung zu geben, mußte Dufy unendlich zarte
Ubergänge und Modulationen schaffen. Darum
mußte er auf die Farbstudien, die er in seinen
Erstlingswerken verfolgt hatte, zurückgreifen. Er
erreichte einen der reichsten und derdurchsichtigsten
farbigen Akkorde. So bringt er in seinen letzten
Werken Farben, die ebenso neue Kühnheiten wie
neue Konventionen bedeuten. Letzthin hat er
sich eines Schwarz bedient, das Licht wird, und
das in seinen Landschaften aus Nizza das Blau
des Mittelmeeres steigert. Ist Dufy heute Herr
seines Handwerks, befreit von dem so anstrengen-
den technischen Studium, so gelangt er nun zu Be-
ziehungen zwischen den Gegenständen, den Figuren
und den Farben, die so wichtig sind, daß die Kom-
position eines Bildes präzis und vollkommen gleich-
mäßig ausgewogen erscheint.

Aber in der Seele Dufys lebt ein poetisches
Empfinden, das seine Werke erhellt und ihn in
Stand setzt, in der heutigen Malerei eine besondere
Rolle zu spielen.

Unendlich gefügig jeder leisesten Neigung sei-
nes Temperaments, weiß er aus allen Dingen eine
zu gleicher Zeit köstliche und geistreiche Poesie zu
entbinden. Es genügt seinem Auge das Flattern
eines Schmetterlings oder ein Lichtstrahl, der auf
einem Steine spielt, oder eine Wolke, die weich
am Himmel treibt, um alle Süßigkeiten des Som-
mers und des Lebens sichtbar zu machen und in
köstlichen Bildern zu gestalten. Es gibt keinen
Teil der Schöpfung, der ihn nicht einzufangen
vermochte, kein Abbild, das ihn nicht durch seinen
Zauber verlockte, keine Schönheit, die nicht bis
zu den äußersten Grenzen seines Wesens in ihm
wiederklänge, in solchem Maße, daß seine Werke
wie die Sterne der Bibel in Hymnen der Freude
ausströmen. Seine Sehnsucht nach Schönheit er-
füllt die weiten Räume der Erde und des Wassers,
bemächtigt sich des Wesens der Dinge, steigert
alle Fähigkeiten, die in ihm wohnen, in allen Er-
scheinungen, die man mit dem Netze des Lichtes
einzufangen vermag. (Deutsch von Elsa Glaser.)

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